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Lillichens Verlobung

(Aus der Weihnachts-Nummer des guten Familienblattes)

„Papächen, Papächen, Mutti, Mutti!“ klang eine helle Stimme aus dem Parke herüber zur Terrasse, wo Graf Eberhard Unstrut von Felsenhorst mit seiner Gattin, der Gräfin Hildegard, beim Frühstück saß.

Es war ein wunderbarer Frühlingsmorgen. Die Vöglein zwitscherten, daß es nur so eine Freude war. „Pipipipipi,“ klang es von allen Seiten. „Päng, Päng,“ machte der Buntspecht.

Die altehrwürdige Sandsteinfassade des gewaltigen Baus des Stammschlosses der Felsenhorst erschien in den Strahlen der Morgensonne wie in Gold getaucht.

Es war das erstemal nach den langen Winterwochen, daß das gräfliche Paar auf der Terrasse frühstückte. Das erstemal, ja, ja. Man hatte eine schwere, recht schwere Zeit hinter sich. Gräfin Hildegard hatte wohl an drei Monate an einem furchtbaren Brustübel auf den Tod daniedergelegen. Der alte, treue Hausarzt, Doktor Bimstein, war nicht von ihrer Seite gewichen. Das waren graue Tage gewesen.

Mit dem Scheiden des Winters verzog sich das Leiden mehr und mehr. Die kräftige Natur der Gräfin und warme Flanellunterkleidung trugen den Sieg davon. Nun saß sie zum erstenmal nach langer Zimmerhaft, noch bleich und abgehärmt, aber wieder dreihundert Pfund schwer in ihrem Lehnstuhl, der mit dem gräflichen Wappen geschmückt war, auf der Terrasse.

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Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/059&oldid=- (Version vom 1.8.2018)