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Belsazar: Du willst nicht? Soll ich dir die Zunge lösen, daß sie gelenkig wird wie das Zünglein einer Schlange? – Soll ich dir glühendes Blei in die Kehle gießen, damit sie geschmeidig wird? Vielleicht kannst du dann singen?

Rahel (stolz): Tue wie du willst!

Belsazar (zu den Leuten): Hört ihr die Jüdin? Sie hat den Mut einer Löwin. Seht ihr, wie sie die Krallen zeigt? Ei, das gefällt mir!


6. Scene.


Nebo (kommt zurück, beide Arme beladen mit goldenem Gerät, das er auf die Stufen des Thrones niederlegt): Herr, ich gehorchte deinem Befehle!

Belsazar: Sind das die Gefäße, die mein Vater nahm aus dem Tempel Jerusalems?

Nebo: Ja, o König!

Belsazar: Nimm diesen Becher und fülle ihn mit Wein, Nebo!

Nebo reicht dem König den gefüllten Becher.

Belsazar (geht mit dem Becher zu Rahel, höhnisch): Hier, mein Täubchen, trinke! Siehe, es ist ein Becher aus dem Tempel Jehovahs, des Jehovah, den du anbetest! Ich habe ihn mit Wein füllen lassen, trinke daraus! (er hält ihr den Becher an die Lippen)

Rahel (mit furchtbarer Stimme): Lästere nicht Gott! Er wird furchtbares Gericht über dich halten!

Belsazar (leicht verächtlich): Glaubst du, Weib, der König von Babylon fürchte sich vor deinem Gotte? Sieh her! Diesen Trunk weihe ich Baal und Astarte! (er trinkt) Nebo, gib mehr Wein! (er hält den Becher wieder Rahel hin) Sieh, hier haben meine Lippen den Becher genetzt, trinke von dieser Stelle und bezeige deinem Könige deine Ehrerbietung!

Rahel biegt den Kopf zurück.

Belsazar: Auch trinken willst du nicht? Nun, so sollen meine Weiber dir vortrinken. He! (er winkt den Tänzerinnen) Nebo, fülle alle Becher und gib sie den Weibern! – Trinkt! – Und wenn ihr getrunken habt, dann – speit in die Becher!

Rahel (wirft die Arme empor und spricht laut mit entsetzter Stimme): Trinkt nicht! Trinkt nicht! Lästert nicht! Lästert nicht Gott den Herrn! (die Weiber lassen die Becher sinken)

Belsazar (mit brüllender Stimme): Wer wagt es, meinem Befehle zu trotzen?

Rahel (noch einmal, überlaut): Lästert nicht Gott!

Belsazar (laut lachend): Wer ist dein Gott? Was ist dein Gott? Machtlos und elend wie dieser Stab, den ich zerbreche! – Ich bin der König von Babylon!

(Im selben Augenblick beginnen sämtliche Lichter zu flackern und verlöschen beinahe, ein schrecklicher Sturm hebt an und laut rollt der Donner. An der schwarzen Marmorwand aber erscheint langsam eine feurige Schrift, das „Mene tekel upharsin“... Alles schweigt und starrt wie gebannt nach der Schrift. Der König hat die Hände halb abwehrend erhoben und die Augen weit aufgerissen. Dann schaut er sich entsetzt im Kreise um und tastet mit den Händen nach einer Stütze)

Belsazar (lallend): Seht, seht – ihr? Seht ihr die – Schrift? Was bedeutet das? ... Wer kann die Schrift lesen? (alles schweigt)

Belsazar (lauter): Wer kann die Schrift lesen? (niemand antwortet)

Belsazar: Geht, geht und holt die Weisen meines Landes herbei, auf daß sie jene Buchstaben deuten! Eilt, holt sie! (einige Feldleute eiligst ab)

Belsazar (starr): Was – was bedeutet das? (unter den Leuten erhebt sich ein leises Murmeln, das immer mehr anschwillt. Die Soldaten kommen in Begleitung dreier alter Männer zurück)


7. Scene.


Belsazar (laut): Kommt und deutet mir diese Schrift da! Wer sie lesen kann von euch, dem will ich goldene Ketten umhängen, er soll Purpur tragen und der dritte Herr sein in meinem Königreiche! (Pause)

Empfohlene Zitierweise:
Hennie Raché (1876–1906): Belsazar. Drama in 1 Akt.. , 1904, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hennie_Rach%C3%A9_Belsazar_137.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)