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XIII[1]
(Berlin 1853.)
Geliebte, verehrte Freundin!

Mein trauriger, finsterer Brief hat Sie vielleicht betrübt, und da er schon so lang war, schloß ich ihn, ohne noch einige Betrachtungen anzufügen, wie ich mir vorgesetzt hatte. Gewiß ist unser Leben bei allen Kümmernissen, Schmerzen, Gram, bei der Noth der Welt, dem Druck der unausweichlichen Armuth und Tyrannei nicht sehr zu loben oder zu wünschen; wenn auch gleich früher die mährchenhafte phantastische Jugend mit ihren seltsamen Erfahrungen dem allmäligen Vorschreiten in das gewöhnliche Pflegma hinein, augenblickliche Begeisterung, schöner Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft jene Weltleiden etwas aufwiegen können. So denkt freilich in der Regel Jeder nur an sich selbst und seine Existenz, die ihm doch früher oder später abgenommen wird. Die fleißig benutzten Kirchhöfe gehören ja zu einer guten Staatseinrichtung, bis dann die Gebeine nach längerer Zeit auch unbeachtet umher gestreut werden. Die Vergänglichkeit ist das Gesetz der Natur, soweit wir sie verstehen können.

Visionen, Entzückungen, augenblickliches Schauen in das sogenannte Jenseit sind die Verherrlichungen unsers Gemüthes, die nur Wenigen gegönnt sind; die meisten Menschen sterben, ohne dergleichen erlebt zu haben. Mein Entzücken und wiederholtes Bestreben, einen Zustand wieder zu erleben, den ich den allerhöchsten Moment meines Daseins nennen muß, war in meinem langen Leben immer vergeblich und nur von bitterer Reue begleitet, soviel ich auch sonst gelesen, gedacht, und mich an Poesie und Kunst, Mystik und wunderbaren Gedanken und den sonderbarsten Erfahrungen entzückt habe. –

Es war im ersten Jahre meiner Studentenzeit, 1792, in Halle, als ich auswanderte, um einen Freund, der mich eingeladen hatte, im Harz zu besuchen. Ich hatte noch kein Gebirge gesehen, und Alles war mir neu, erfreulich und begeisternd. Es war der Johannistag, als ich auswanderte. Ich hatte die Nacht nicht geschlafen, sondern Briefe geschrieben. Als ich Eisleben erblickte, war ich von der Schönheit der Lage, den Feldern und Wiesen, sowie der Frucht, die beinahe schon reif war, sehr überrascht und erfreut. Ich wanderte dann zu Fuß durch die kleine Stadt Heckstedt[2], wo ich noch dem Leichenbegängniß eines gestorbenen Bergmanns beiwohnte. Als es finster wurde, kam ich in einen Wald, wo sich frohe und singende Jugend versammelt hatte, die mich mit Blumensträußen, wie es dort Sitte ist, anbanden. Ich hatte den langen Tag unter meinen Naturbetrachtungen etwas saumselig verschwinden lassen. Nun gerieth ich vor ein höher gelegenes Gasthaus, aus welchem mir Erleuchtung, Musik und Tanz entgegenstrahlte. Ich kehrte


  1. Von Zaunickaus Mscr. Dresd. App. 314 Band 2 S. 151–156 in Carus, Lebenserinnerungen V 101–105 erstmalig veröffentlicht. Dieser Brief war der letzte, den der im 80. Lebensjahre stehende Dichter an Frau von Lüttichau richtete. Der Greis hatte das Bedürfnis, der vertrauten, innig geliebten Freundin vor seinem Ende noch von einem wunderbaren visionären Erlebnis Kenntnis zu geben, das ihn einst auf seiner mit 19 Jahren unternommenen Harzreise mächtig erschütterte. Was Köpke im Rahmen seiner Tieck-Biographie (I 142–144) davon berichtet, erzählte ihm der Dichter im hohen Alter voll tiefer Bewegung. Dichterische Phantasie dürfte, wie Zaunick (a. a. O. V 99) mit Recht hervorhebt, die Jahrzehnte zurückliegende Begebenheit durch Abänderungen und Zusätze im einzelnen wirkungsvoll ausgeschmückt haben.
  2. Gemeint ist Hettstedt an der Wipper bei Eisleben, mit Kupferhütten und Silberschmelze, im Mansfelder Kreise.