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wenigen Menschen, die mich verstehen, und darum kann ich Ihnen mein Herz ausschütten und Sie werden alles als liebevolle Freundin und Menschenfreundin aufnehmen. Ich bin in diese trübsinnigen Bekenntnisse gerathen aus schmerzlichem Bedürfniß und nun wollen wir abbrechen, so viel ich auch noch zu sagen hätte. Wie wenige Menschen haben mich in meinem langen Leben verstanden, und doch hatte ich mehr innige Freunde, wie die meisten Lebenden. Wackenroder[1], Hardenberg, Solger; denn die Schlegel[2] kann und mag ich nicht zu diesen rechnen. Ihr freundliches Gemüth, und einigen Ersatz konnte mir die Reinbold[3] geben, die nun freilich auch längst verschieden ist. Sie werden an diesem schwermüthigen Briefe vielleicht doch einigen Anstoß nehmen, und ich möchte in Ihr treues Auge sehen können, mit welchen Empfindungen Sie diese Geständnisse aufnehmen. Wer ist der Regierer dieser Welt? ist es ein Dämon, ist es die Liebe, die sich im Schaffen, Beschützen offenbart? Die aus uns, aus der ganzen Weltverfassung ein so schnödes, verzweiflungsvolles Kunststück gedrechselt hat, daß man eben so viel lachen, als weinen möchte? Wie trösten Sie sich über alle diese Widersprüche und Räthsel? In unserer Brust ist freilich eine solche Ueberfülle von Liebe, Demuth, Mitleid, Begeisterung und unauslöschliches Vertrauen, das immer wiederkehrt, so daß wir wie gutmüthige, leicht täuschbare Narren der Verzweiflung, von bösen Geistern geneckt und verlacht, gegenüberstehen. –

Ich hoffe, Sie sind jetzt wieder ganz genesen und den Ihrigen geht es ebenfalls wohl. Was ist ein Einzelner in diesem großen Getümmel der sogenannten Weltgeschichte! Der unvermeidliche Tod schlägt alles nieder und so rückt die Gegenwart in die Zukunft hinein, ohne daß man sagen kann, was die Begebenheiten genutzt, oder für den Zusammenhang der Welt eingebracht haben. Immer falle ich wieder in diese schwermüthigen Betrachtungen, und ich möchte mich an der verkehrten Welt oder dem gestiefelten Kater[4] trösten und beruhigen. Vielleicht mögen Sie mir ein hülfreiches Wort übersenden; Sie haben ja ähnliche, tiefsinnige Erfahrungen gemacht, Sie haben ja auch dieses Leben durchgekostet und kennen die Täuschungen, die uns allenthalben entgegenkommen.

So umarme ich Sie und bitte, mich auch nach meinem Tode nicht zu vergessen, da mir Ihr Angedenken mit das Erfreulichste ist, was ich erlebt habe.

Berlin d. 3. Febr. 53. L. Tieck.

  1. Über Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773–1798), Tiecks frühvollendeten Freund und Jugendgefährten, siehe Haym, Die romantische Schule 50–55; Berend a. a. O. XXI f. – Friedrich Freiherr von Hardenberg, Pseudonym Novalis (1772–1801), und Tieck schlossen im Sommer 1799 in Jena einen auf Geistesverwandtschaft gegründeten Freundschaftsbund (Haym ebenda 425–428). – Über Solger siehe Anm. 19.
  2. August Wilhelm Schlegels Überlegenheit gegenüber Tieck ließ ein Freundschaftsverhältnis zwischen beiden nicht aufkommen. Friedrich Schlegel fehlte die Innerlichkeit, die Tieck von einem Freunde verlangte. Siehe darüber L. Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe, herausgegeben von Henry Lüdeke, Frankfurt a. M. 1930, 21–25.
  3. Die dem Dresdener Freundeskreise des Tieck'schen Hauses angehörende Schriftstellerin Adelheid Reinbold starb am 14. Februar 1839 im Alter von 39 Jahren. Ihr Roman König Sebastian und ihre gesammelten Novellen erschienen, von Tieck herausgegeben, nach ihrem Tode unter ihrem Decknamen Franz Berthold. Vgl. dazu Johannes Wetzel, Adelheid Reinbold, phil. Diss. Leipzig 1911, 11–29.
  4. Der gestiefelte Kater, Kindermärchen in drei Akten, von Tieck in eine ironisch-satirische Komödie verwandelt, und Die verkehrte Welt, ein historisches Schauspiel in fünf Aufzügen, tatsächlich ein die Tollheiten des gestiefelten Katers noch weit überbietendes Lustspiel, waren 1797 bzw. 1799 erschienen. Vorstehende Charakterisierung beider Stücke gibt Berend a. a. O. XXXVII bis XXXIX.