Seite:Heft32VereinGeschichteDresden1937.pdf/37

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Carl dem 1sten paßt gewiß nicht, denn nichts ist sich ähnlich auf der Welt, und hier erscheinen mir die disparate in Zeit, Völker und Individualitäten der Könige ganz handgreiflich, aber in dieser Rede kommt einem unwillkürlich der Ausdruck quitte à double – on ...[1] in den Sinn. Sein Stern wird den Ausschlag geben.


VII
Innigst geliebte Freundinn,

Mögen Sie von einem Verschollenen wieder einmal etwas vernehmen. – Leider wußte ich es im voraus, daß mit meinem Abschied aus Dresden auch mein Verhältniß zu Ihnen, Ihre Hülfe, Ihr Trost, Ihre Freundschaft und Liebe für mich vernichtet, abgestorben, wenigstens nur zu einer Erinnerung, ein(em) Traumbild sich schwächen und verschatten würde. Und so ist es denn nun auch geworden. O es ist nicht das Schlimmste, wenn man den liebsten Freund krank und in Gefahr weiß, diese Abtrennung, diese Entfernung ist wie ein Tod. So lese ich denn oft Ihre lieben Briefe als wie einer Verstorbenen. – Was soll ich klagen? Vielleicht können Sie sich die Einsamkeit nicht lebhaft vorstellen, in der ich lebe: Sie können sich vielleicht die trübselige Melankolie nicht denken, den Lebens-Ueberdruß, an dem ich fortwährend leide. Meine Schwermuth ist ununterbrochen. Wie schwebt mir Dorothe in allen Gestalten vor, von ihrer Kindheit bis zu ihrem Tode. Ich spreche zu Niemand von meinen Schmerzen. Denn dieses Leid, Sehnsucht und Wehmuth ist etwas Heiliges, Religiöses, Gott ist in ihm. Oft, des Nachts, träume ich von ihr: dann lebt sie, – ich wundre mich – klage sie an, daß sie gestorben sei und mir so viel Schmerz gemacht, dann sagt sie mit den lieblichsten Tönen: es sei ja nun gut, sie wolle es nicht wieder thun. – Wie erschrecke ich dann beim Erwachen!! – Ich fühle sie oft ganz nahe, ich bin von ihrer Nähe überzeugt – dann ist der Schmerz ein himmlisch geläuterter – kein Trost, keine Heiterkeit – ein unbeschreibliches, überirdisches Gefühl - man muß so etwas erlebt haben. – Und nun die himmlische Henriette[2]! Himmlisch, ja wohl! Wo findet sich noch eine solche Liebe! In meinen Thränen, in der Sehnsucht und Angst empfinde ich auch oft ihre Nähe, ganz nahe, ein seeliger, überirdischer Anhauch, eine Gewißheit, ein Anrühren – wer kann darüber Worte finden? – Unter vielen Thränen gestehe, bekenne ich nur Ihnen diese meine Gefühle und Schmerzen: Sie werden mich vielleicht mehr verstehn als irgend wer, denn Sie haben auch viel verlohren, viele Schmerzen erlitten, und leben immer noch, kräftig, geistig, in sich gesammelt, und im Bewußtsein, dem vollen Gefühl Ihres Geistes, des unsterblichen!


  1. Der dem Abschreiber nicht geläufige Ausdruck der Spielersprache lautet: jouer à quitte ou à double und bedeutet „in der letzten Partie um Abtragung oder Verdoppelung der Schuld spielen“, d. h. alles wagen.
  2. Wie Tieck seiner am 21. Februar 1841 gestorbenen Lieblingstochter Dorothea jahrelang nachtrauerte, so konnte er auch den Tod der Gräfin Henriette Finkenstein, seiner langjährigen inniggeliebten Hausgenossin, die am 23. November 1847 starb (Aus Tiecks Novellenzeit 157), nicht verwinden. Vgl. dazu Carus, Lebenserinnerungen III 242 f.