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weltlicher Sinn mit einer gewissen Gabe der apperception vermischt ist, so sinkt sie so gewaltig in meiner Meinung, daß auch von ihr kaum etwas übrig bleibt als der Anflug des ridiculs, was allen Schriftstellerinnen nur zu leicht anklebt. –

Theuerster Freund! Wenn ich wirklich annehmen dürfte, daß das, was ich so hinschreibe, Ihnen im geringsten einen kleinen Zeitvertreib gewährte – wie gern wollte ich jede Veranlassung dazu ergreifen. Doch was Sie schreiben vom lebendigen Wort, ist ja darum so wahr, weil es ein Pfund ist, was man auf alle Weise geltend machen kann: alles kommt ihm zu statten, die Leere und Langeweile eines müßigen Augenblicks, einer gedrückten Stimmung, kränklicher Mattigkeit und das harmonische sich fügen solcher Zustände und sie bemeistern helfen durch die Zerstreuung des Gesprächs, dies Alles kommt doch nie dem geschriebenen Wort zu Gute.

Die Bardeleben[1] ist mit Serre's nach Paris gereist. Ich bewundre den Jugendmuth solcher Naturen und freue mich, daß es solche giebt, denen nun all diese Anstalten, pfeilschnell durch die Welt zu ziehen, Vortheile bringen.

Noch muß ich erwähnen, daß Elise Sternberg[2] jetzt hier ist: sie ist sehr kränklich und braucht eine Kur hier. Ihre Anhänglichkeit an Dresden ist rührend: sie sieht besser aus wie sonst und ist ein liebes Mädchen; vom Vater giebt sie ein trauriges Bild.

Friesen kommt eben und sagt mir, daß er nach Berlin reist, und ich gebe ihm den Brief mit. Ich habe Rötschers Bekanntschaft gemacht und ihn in einer kleinen Gesellschaft ein paar Scenen lesen hören: abscheulich – er selbst aber ist ein lebendiger, munterer Mann und harmlos, wie es scheint. Nun leben Sie wohl, Theurer, Geliebter. Empfehlen Sie mich der Gräfin.

Mit innigster Liebe
Ihre
Ida Lüttichau.

Friesen geht erst in einigen Tagen: ich sende daher doch den Brief durch Rötscher. –

Ich habe eben des Königs Rede gelesen[3], mit Rührung theils und mit freudiger Zustimmung, dann wieder mit Entsetzen, mit Unbehagen. Es gemahnt mich, wie wenn einer auf einem hohen, hohen gebrechlichen Gerüste stünde in schöner Rittertracht, wie zum Tournier gerüstet, und man theils die Kühnheit und Grazie seiner Fechtkunst, seines aplombo[4] bewundert und theils doch das unersprießliche Wagniß rügen möchte. Ich gäbe viel darum, wenn ich die Wahrheit wüßte, was Sie davon denken. Der oft gemachte Vergleich mit Ludwig den 16ten und


  1. Wie Zaunick (a. a. O. 200) festgestellt hat, lebte Henriette von Bardeleben geb. von Bodungen aus Berlin, geschiedene erste Frau des Kurfürstlich-hessischen Oberstleutnants Franz Heinrich von Bardeleben, in den Jahren 1842–1852 in Dresden. Krankheitshalber kehrte sie 1852 nach Berlin zurück. Vgl. dazu Tieck's zehnten Brief S. 36.
  2. Elise Freiin von Ungern-Sternberg, Oberaufseherin der Heil- und Pflegeanstalt Illenau bei Achern, und ihre jüngere Schwester Amélie waren mit Carus' Tochter Caroline befreundet. Beide entstammten der zweiten Ehe des Geheimen Rates Wilhelm Freiherrn von Ungern-Sternberg, der von 1819–1821 Intendant des Mannheimer Theaters war und später in Dresden Tiecks engerem Kreise angehörte. (Nachweisungen bei Zaunick a. a. O. 201.) Der Freiherr starb am 25. April 1847, demnach bald nach der Niederschrift des Briefes der Frau von Lüttichau.
  3. Die schwungvolle, aber zum Widerspruch reizende Rede, mit der König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen am 11. April 1847 den ersten vereinigten Landtag eröffnete, ist u. a. in: Reden und Trinksprüche Sr. Maj. Friedrich Wilhelms des Vierten Königs von Preußen (Leipzig 1855) 41–56 abgedruckt. Eine zeitgenössische Kritik derselben besitzen wir in den „Bemerkungen über die Rede Friedrich Wilhelms IV. bei Eröffnung des Vereinigten Landtags zu Berlin“, Freistadt, bei Müller und Schmidt, 1847. Über ihre Wirkung äußert Heinr. von Treitschke (Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert V 5 620) „Die Thronrede erschreckte und verwirrte die Hörer.“
  4. Das Aplombo des Königs, d. i. die Sicherheit seiner Haltung.