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immerwährenden Anspannung der eigenen Kräfte. Sie werden mich vielleicht darüber auslachen, weil dies sehr beschränkt klingt. Doch im beschränkten Sinne meine ich es nicht, und Niemand ist entfernter von dem anmaßend reflectirenden Wesen sogenannter Erziehung wie ich. –

Die Raumer'sche Angelegenheit hat nicht nur mein Interesse und Freundschaft für ihn sehr in Anspruch genommen, sondern mir doch auch noch mancherlei zu denken gegeben. Im Plutarch heißt es von den Spartanern[1] „die hier starben, sie sahen nicht im Leben noch Sterben die Schönheit, aber in dem, daß schön Beiderlei werde vollbracht.“ Sollte nicht bei unserm Freunde auch eine Nemesis darauf beruhen, daß er oft das Große nicht schön thut? Vereinigte er in seiner Rede die Kühnheit und Kraft der Gesinnung mit der Schönheit und Würde des Ausdrucks und der Form, so war ihm weit schwerer beizukommen. Es versteht sich indeß, daß er als der allein Siegreiche in der allgemeinen Meinung aus dem gangen Handel hervorgegangen ist.

Sie sehen, daß ich mich wirklich auf Ihre Einladung habe verführen lassen, recht durch einander zu schwatzen. Einen gewissen Muth bekommt man doch nun, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. – Von der Bülow aus Stuttgard bekomme ich oft Nachricht, sie ist höchst unglücklich und meint, Louise sei es auch: ich maße mir nicht an, über Louise zu urtheilen, glaube aber allerdings nicht, daß Bülow der Mann ist, der höhere Opfer werth ist, und dessen Liebe ihr Kraft und Ruhe geben kann: es ist daher sehr möglich, daß sie Qualen erduldet, ohne selbst die Genugthuung zu haben zu wissen, wofür sie sie sich auferlegt hat. – Schnorr, den ich von Ihnen grüßen soll, habe ich erst einmal überhaupt gesehen und gesprochen: man findet ihn sehr gescheut und unterhaltend. Mich hat sein sächsischer Dialekt etwas gestört; auch vermisse ich einen gewissen künstlerischen Ausdruck in seiner Physionomie, den doch selbst Cornelius[2] bei aller Schärfe und Präcision der Züge hat.

Baudissins[3] sind etwas verbreiteter in geselligen Beziehungen wie am Anfange ihrer Ehe: der Gesellschaft kommt dies zu Gute, denn sie ist ein feines, geistiges Element in derselben und versteht auch mit ihrem Kapital zu wuchern, sich und Andere zu bereichern, und da Baudissin doch nicht die Welt ganz entbehren kann, so ist es doppelt gut, daß sie doch auch hierin ihm zu Hülfe kommt.

In diesen Tagen hatte ich ein wunderliches Manuscript zur Hand: es waren Originalbriefe (ihre eigene Handschrift) der Staël[4] an den Grafen ODonnel, mit welchem sie in Wien 1808 in einem Liebes Verhältniß gestanden hat. Gedenke ich nun an den schwerfälligen, langweiligen ODonnel zurück, den ich bei Ihnen öfters gesehen, und lese ich die ganz desultorischen, oft seichten Seelenzustände dieser Frau, in denen so viel Eitelkeit, geringfügiger Klatsch und ganz oberflächlicher,


  1. Die von Frau von Lüttichau angeführten Worte (das Wort Streben in der Abschrift änderte ich sinngemäß in Sterben) sind Plutarchs Lebensbeschreibung des Pelopidas entlehnt. Dort heißt es im ersten Kapitel:

    οἲδε ἒϑανον
    ού τό ζῆν ϑέμενοι χαλὸν οὺδέ τὸ ϑνήσχειν
    ὰλλὰ τό ταῦτα χαλώς άμφότεϱ' έχτελέσαι.

    In der neuzeitlichen Übertragung von Wilhelm Ax (Plutarch, Helden und Schicksale, Leipzig 1935) lauten die Verse:

    „Diese starben: sie sahen ihr Glück nicht im Tod noch im Leben,
    Beides zu enden mit Ruhm, das war ihr einziger Stolz.“

    Das dem Plutarch von Carus in seinem 1845 erschienenen Buche England und Schottland I 23 gespendete Lob regte dessen 83jährige Mutter und wohl auch die ihr liebevoll zugetane Frau von Lüttichau an, einiges von diesem Schriftſteller zu lesen. (Siehe darüber Lebenserinnerungen III 211.) Letzterer blieben anscheinend die Verse aus Plutarchs Pelopidas als besonders eindrucksvoll im Gedächtnis.

  2. Der berühmte Historienmaler Peter von Cornelius wurde 1841, ein Jahr vor Tieck, von München nach Berlin berufen, um sich bei den Kartons zu dem von Friedrich Wilhelm IV. geplanten Camposanto schöpferisch zu betätigen.
  3. Graf Baudissin war seit Herbst 1840 in zweiter Ehe mit Sophie Kaskel, der Tochter eines reichen Dresdener Bankiers, verheiratet. Vgl. Wolf Graf Baudissin. Gedenkblätter für seine Freunde 1880, 45.
  4. Es handelt sich, wie Zaunick (a. a. O. 199–200) eingehend dargelegt hat, offensichtlich um die von Jean Mistler in seinem Buche Madame de Staël et Maurice O'Donnell 1805–1817 d'après des lettres inédites (Paris 1926) mitgeteilten Briefe und Billette der Frau von Staël, die von dem bisher unbekannten eigenartigen Liebesverhältnis der französischen Schriftstellerin mit dem um 14 Jahre jüngeren Wiener Grafen Moriz O'Donnell Kunde geben. 1811 heiratete dieser die Prinzessin Christine de Ligne und starb als Feldmarschall-Leutnant am 1. Dezember 1843 zu Dresden. Vgl. E. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXI 2 f.