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Eduard Devrient hat Ihnen, wie er mir sagt, geschrieben[1]: er hat viel Hartes hier erfahren müssen. Nicht nur hat er seine gehoffte Einwirkung aufgeben müssen, sondern er wird nun auch eine drückende Unterordnung erfahren müssen. Das wird ihm um so schwerer werden, als er nicht ganz frei von Devrient'schem Hochmuth ist: aber sein Benehmen ist immer nobel und würdig geblieben. Ich habe mich, als eine Art von Genugthuung für alle Unbilden, die er von unserm Hause hat erfahren müssen, dazu hergeben müssen, ihn einmal vorlesen zu hören. Ich wählte dazu den „Andreas Hofer“, weil ich den nie von Ihnen gehört hatte[2]. Eine gewisse Kunstfertigkeit des Sprachorgans besitzt er allerdings, er liest sehr rasch, moduliert auch gut, kurz, man kann sagen, er trägt gut vor mit einer gewissen Eleganz und Wissenschaftlichkeit von der Sache. Aber mehr wie einmal möchte ich es nicht hören, denn alles, was nur der Geist schafft, hinzubringt, das ursprüngliche, befruchtende für den Geist fällt natürlich weg, denn das giebt seine Individualität nicht her. Nun ist Rötscher[3] hier und hält Vorlesungen; die werde ich nun gar nicht hören, denn ich kann nur dadurch existiren, daß ich mir mit entschiedenstem Eigensinn Alles fern halte, was aus dem Kreise des engsten Gewahrsams (könnte ich es fast nennen), den ich mir selbst stelle, hinausgeht. Ich verstehe Sie darum jetzt noch weit besser wie früher in dem sich daran genügen lassen dessen, was man erworben hat und dem entschiedensten Negiren alles dessen, was nur als (Lücke in der Abschrift) noch einwirken kann: warum eine Zeit, eine Persönlichkeit als in sich abgeschlossen zu betrachten ist, warum Sie nach der Gräfin[4] keine Sängerin, nach Fleck[5] keinen Schauspieler gelten lassen wollten, dies fühle ich jetzt individueller, und daher erscheint es mir nothwendiger wie sonst. Wie überhaupt die flüssigen Elemente in der Seele sich doch mit der Zeit immer mehr condensiren und sich dadurch doch die Form mehr ausprägt, die dem innersten Wesen zum Grunde lag, und nun endlich das, was sich herausgelebt hat, als ein einfaches, um sein selbst willen daseiendes gefühlt wird und zur Geltung kommt als etwas, das wir selbst und andre tragen müssen – dies alles ist mir klarer als sonst, und ich lasse daher meine eigne Natur mehr walten, da einem auch der Verlauf der Zeit ein Recht dazu giebt, was man früher nicht zu haben meint.

So lebe ich denn sehr zurückgezogen im Ganzen. Einen großen Theil meiner Kräfte nimmt jetzt meine erwachsene Tochter[6] in Anspruch. Ich finde das eine ungeheure moralische Anstrengung (so sonderbar dies klingen mag), weil das Durchbrechen aller früheren unsichtbaren geistigen Keime in diesem Alter so plötzlich kommt und gewissermaßen über einem zusammenbricht, daß man seinen Verstand nicht genug anstrengen kann, um das richtige in diesem Moment nicht zu versäumen, und so entsteht etwas wunderbar Gemischtes zwischen der innern Freude an der Erscheinung und der Liebe zu ihr und einer sehr mühevollen geistigen,


  1. Gemeint ist, wie Zaunick (ebenda) richtig vermutet, Eduard Devrients Brief vom 13. Juli 1846 (Briefe an L. Tieck I 185ff.). – Als Oberregisseur am Dresdener Hoftheater war Eduard Devrient bemüht, ein geregeltes Ensemblespiel zu erzielen. Doch wurden seine Bestrebungen von einzelnen Bühnengrößen, namentlich von seinem Bruder Emil, heftig bekämpft. Vgl. H. A. Lier, Allgemeine Deutsche Biographie XLVII 669; Ferd. Rein, Ed. Devrient als Oberregisseur in Dresden von 1844–1846, phil. Diss. Erlangen, Altenburg i. Thüringen 1931; Jul. Bab, Die Devrients (Berlin 1932) 138–145. – Unter Gutzkow hatte D. gleich im Anfang über geringschätzige Behandlung bei der Rollenbesetzung zu klagen. Auch kränkte es ihn, daß Herr von Lüttichau, wie es mitunter schon früher der Fall gewesen war, nicht für ihn eintrat. Vgl. Proelß a. a. O. 516–518.
  2. Gutzkow (Rückblick auf mein Leben 310) spöttelt über die von Eduard Devrient in seinem Teesalon vor größtenteils alten adligen Damen gehaltenen dramatischen Vorlesungen und bemerkt dazu, kein Abend habe je den Genuß einer Tieck'schen Vorlesung gewährt. Eine Vorlesung Tiecks war eben, wie Berend (a. a. O. LXVI) in Übereinstimmung mit Frau von Lüttichau treffend bemerkt, lebendige Neuschöpfung, keine bloße Reproduktion einer Dichtung. – Mit dem Andreas Hofer, den Frau von Lüttichau von Devrient vorlesen hörte, ist Immermanns 1827 erschienenes dramatisches Gedicht „Das Trauerspiel in Tirol“ gemeint. Den Titel „Andreas Hofer“ erhielt das Werk in der vom Dichter im Winter 1833–1834 vorgenommenen Umarbeitung, wie es im dritten Bande der Düsseldorfer Ausgabe seiner gesammelten Schriften zu finden ist. Vgl. Paul Gelberg, Immermanns Andreas Hofer, phil. Diss. Münster, Olpe 1928, 51–55
  3. Die Vorlesekunst des angesehenen Berliner Kunstkritikers Heinrich Theodor Rötscher, der am 8., 10. und 13. April 1847 in Dresden drei öffentliche dramatische Vorlesungen hielt, wurde von der Dresdener Kritik (wie Zaunick a. a. O. 195 f. festgestellt hat) sehr ungünstig beurteilt.
  4. Die Gräfin kann nur die gefeierte Sängerin Henriette Sontag sein, die sich 1830, bald nach ihrer Verheiratung mit dem Grafen Rossi, von der Bühne zurückzog.
  5. Mit Ferdinand Fleck, dem genialen Berliner Schauspieler (gestorben 1801), einem Meister in der Darstellung von Heldenrollen, war Tieck in den Jahren 1794–1799 näher bekannt geworden. Vgl. Berend a. a. O. XVIII, XXIX f. Tiecks Urteil über den großen Künstler bei Köpke a. a. O. II 229 f.
  6. Frau von Lüttichau's einzige am Leben gebliebene Tochter (Ein Lebensbild 23) Henriette Rosalie war am 22. Dezember 1830 geboren. Am 18. Mai 1850 heiratete sie den sächsischen Kammerherrn Hans Leopold von Globig. Vgl. Gothaisches genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Jahrg. 4, 1903, 536.