Seite:Heft32VereinGeschichteDresden1937.pdf/32

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

O wie gern möchte ich wieder einmal mit Ihnen aus vollem Herzen schwatzen, so in einer vertraulichen Abendstunde, wie es sonst so oft geschah. Was ich arbeite, soll ich Ihnen sagen? Ich habe schon seit lange den 3ten Th(eil) von Shaks(peare's) Vorschule fertig[1]: dann habe ich bei meiner Schwäche und Unfähigkeit meine Correspondenz geordnet und die passenden Briefe abschreiben lassen[2]: dies durchzusehn, zu korrigiren und einige Bemerkungen und Erläuterungen zu machen, wird mir noch einige Zeit kosten. Diese Briefe sollten auch zugleich wie eine Vorrede zu meinen Memoiren sein, denn sie werden manches in meinem Leben erläutern. An diese Lebensbeschreibung möchte ich dann recht bald gehn, und sie so weitläufig als möglich machen, denn nur dadurch, daß sie recht individuell ist, kann sie interessant werden. Man muß sich auch können über den Einwand der Eitelkeit u(nd) dergl(eichen) hinwegsetzen: Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß diese Beschuldigung auf mich nicht paßt; ich leide beinah am Gegentheil: ich kann mich, selbst unwürdigen Menschen gegenüber, nicht wichtig genug machen; ich habe noch Zeitlebens keinem Menschen imponirt, es wenigstens nicht gewollt.

Die Sache mit Raumer[3] wird Sie auch sehr bekümmert haben. Sie kennen gewiß die wackre und unschuldige Rede. Man lebt hier in einer traurigen Herbstdämmerung und in einem ganz ungesunden Nebel. Im Studium der Menschenverachtung bin ich seit vier Wochen außerordentlich vorgeschritten. Wohin kommen wir auf diesem Wege? Raumer ist wie immer, brav, tapfer, redlich, so daß ich diesen Freund in seiner ächten Männlichkeit immer mehr verehren muß. Aber die Akademiciens. – Ein Berliner Witz: AcaDemi Chiens! Nicht unpassend. Das wollen Gelehrte sein, eine edle Corporation!

Und nun – Abschied nehmen? Lassen Sie mich noch ein wenig schwatzen. Was ist aber so ein Brief für ein armer Behelf der mündlichen Rede. Ich möchte gerade Ihnen Vieles, Alles sagen, und weiß nicht, wo anzufangen. Und schon das Auge! Was kann es nicht alles sagen; besonders Ihr schönes, klares, hellblaues. Was habe ich immer darinn gesehn. Wie klug war ich oft in Ihrer anregenden Nähe durch Ihr herrliches Wort. Das fehlt mir nun auch; ich werde dumm. Ist es nicht sonderbar, daß Menschen, die zusammen gehören, getrennt leben müssen? Ich komme hier gar nicht aus, und sehe nur wenig Menschen, am meisten meine monotonen Verwandten. Ein Prof(essor) Röstel(l)[4] ist ein gescheidter Mann. Keudell war, bis auf seinen Republikanismus, eine Erquickung für mich. Was so ein ächtes Talent mich gleich erwärmt! Selten habe ich mit einem Manne so harmonirt, und doch sind wir uns so ungleich, in vielen wichtigen Punkten ganz entgegengesezt. Aber das halte ich für ein ansehnliches Talent in mir, daß ich auch den Ungleichartigen verstehn kann, wenn er nur sonst etwas werth: und wie Sie sagten: Keudell ist einfach, und das ist die Hauptsache. Was


  1. Das Manuskript von Shakespeares Vorschule Teil 3 hatte Tieck seinem Verleger Brockhaus bereits am 20. März 1835 in Aussicht gestellt. Die Zusendung erfolgte aber erst am 31. Dezember 1847. Wenn Teil 3 ungedruckt blieb, so liegt das daran, daß Tieck trotz wiederholter Mahnungen bis an sein Lebensende nicht dazu kam, in der Art der Vorreden, mit denen er die ersten beiden 1823 und 1829 erschienenen Teile begleitet hatte, auch zum dritten eine längere Vorrede zu schreiben. Siehe Aus Tiecks Novellenzeit 94, 153, 155, 158–162, 179, 189 f., 192, 196 f., 199. – Erst in den Jahren 1893–1895 gab Johannes Bolte die in Teil 3 enthaltenen Stücke: Mucedorus, Das schöne Mädchen von Bristol und Die Comödie von Jemand und Niemand aus dem in der Preußischen Staatsbibliothek verwahrten Nachlaß Tiecks einzeln heraus. Vgl. Fritz Böhm, Bolte-Bibliographie (Zeitschrift für Volkskunde N. F. IV, 1933, H. 1).
  2. Wie Tieck trotz jahrelangen Bemühens über die Vorarbeiten zur Veröffentlichung seiner Memoiren nicht hinauskam, so ging es ihm auch mit der Herausgabe seiner Korrespondenz. Am 28. Februar 1849 lagen 28 Quartbände chronologisch geordnete Briefe in Abschriften vor, 9 weitere kamen bis zum Jahre 1852 hinzu. Insgesamt waren es 2690 Briefe. Mit ihrer Sichtung betraute Tieck Anfang Dezember 1852 seinen Freund Köpke, der sie gerade am Todestage (28. April 1853) des Dichters beendete. Köpkes Vorschlag, es möchten zwei Bände Briefe in Auswahl zur dokumentarischen Ergänzung seiner geplanten Tieck-Biographie gedruckt werden, lehnte Tiecks Tochter Agnes Alberti ab. Schließlich gab 1864 ein anderer Freund ihres Vaters, Karl von Holtei, in ihrem Auftrag vier Bände Briefe an L. Tieck in Auswahl, alphabetisch nach den Briefschreibern geordnet, heraus. Vgl. dazu Aus Tiecks Novellenzeit 170 f., 195 f., 203 f.; Briefe an Rudolf Köpke (Mitteilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin N. F. 1, Berlin 1909) Nr. 11 f..
  3. Als Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften sprach Raumer in seiner am 28. Januar 1847 zur Gedächtnisfeier König Friedrichs II. gehaltenen Rede (alsbald in zwei Ausgaben bei Brockhaus gedruckt) über die religiöse Duldsamkeit des großen Königs. Sie mißfiel Friedrich Wilhelm IV., der auf Erweckung und Neugestaltung des kirchlichen Lebens bedacht war, in hohem Grade. Raumer suchte sich zu rechtfertigen. Nicht ein einziger Akademiker trat für ihn ein. Statt dessen unterzeichneten alle ein Schreiben, in dem sie einmütig den Vorfall aufs tiefste bedauerten und dem König ihre Ergebenheit versicherten. Die Folge davon war, daß Raumer ohne weiteres aus der Akademie austrat. Siehe dazu Raumer, Vermischte Schriften I S. VI f. und 77–87; Franz von Wegele, Allgemeine Deutsche Biographie XXVII 411. Im Gegensatz zu Tieck, der Raumer in allem recht gibt, ist Adolf Harnack auf Grund seiner quellenmäßigen Darstellung der Raumer'schen Angelegenheit in der Geschichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin I 2, 929–944 der Überzeugung, daß Raumers Mißgeschick nicht ganz unverschuldet war.
  4. Auf Friedrich Wilhelm Röstell (am 9. Oktober 1799 zu Berlin geboren), der nach vorübergehender Tätigkeit bei der Preußischen Gesandtschaft in Rom als Sekretär des Staatsmannes Christian Karl von Bunsen von 1832 bis zu seiner Berufung nach Marburg (Frühjahr 1847) außerordentlicher Professor des Kirchenrechts an der Universität Berlin war (vgl. Max Lenz, Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin II 1, 498 f.; F. Ascherson, Urkunden 225), wurde Tieck durch seinen und seiner Tochter Dorothea Freund, den Dichter Friedrich von Uechtritz, aufmerksam. Vgl. Briefe an L. Tieck IV 119 und Erinnerungen an F. von Uechtritz und seine Zeit (Leipzig 1884) 152.