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wunderbarste Geschehen: wie er als Neunzehnjähriger auf einer einsamen Harzwanderung in frommem Erschauern das Schauspiel eines selten schönen Sonnenaufgangs erlebt.

Frau von Lüttichau hat, wie wir aus Tiecks Äußerungen schließen können, dem Freunde eine ziemliche Anzahl Briefe geschrieben, die er, unlustig zum Briefschreiben, unbeantwortet ließ. Was aus diesen Briefen geworden ist, wissen wir nicht. 1849 trägt Tieck sich mit dem Gedanken, die Genehmigung der Freundin vorausgesetzt, ihre darin abgegebenen literarischen Urteile über seine Bücher und Schriften, ohne ihren Namen zu nennen, dem gebildeten Publikum bekannt zu geben. Der Plan kam nicht zur Ausführung. Offenbar war Frau von Lüttichau in ihrer Bescheidenheit und in einer gewissen Scheu vor der Öffentlichkeit nicht damit einverstanden[1]. Darum konnte sie sich auch nicht entschließen, schriftstellerisch hervorzutreten, so sehr ihre Geistesgaben sie dazu befähigt hätten[2]. Sie begnügte sich damit, in der Stille für Tieck und andere bestimmte Bekenntnisse niederzuschreiben, die wir um der Tiefe der darin ausgesprochenen Gedanken und Empfindungen willen bewundern müssen.

Nach dieser Einführung mögen

die Texte

in diplomatisch getreuer Wiedergabe der alten Schreibweise folgen.


Theure, verehrte Freundinn

Es war mir recht schmerzlich, daß ich Sie vor Ihrer und meiner Abreise nicht noch einmal sehen konnte, denn außerdem, daß es mir weh that, nicht noch einmal den Ton Ihrer Stimme zu hören, waren meine Besorgnisse um Ihr Wohlsein nichts weniger als vorüber. Und nun gar bei diesem rauhen, unfreundlichen Wetter, in welchem die Gesunden krank werden können! Ich hoffe, der Himmel hilft Ihnen und erhält Sie Ihrer Familie und Ihren Freunden. Auch darauf rechne ich, daß Sie sich schonen und dieser ganz verderblichen Luft nicht zu sehr aussetzen werden. Immerdar steht mir Ihre leidende Gestalt vor Augen, und es gereut mich jetzt, daß ich meine Herreise nicht auch verschoben habe, um später mit Ihnen in dieser herrlichen Gegend zu sein, und einige schöne Stunden und Spaziergänge mit Ihnen genießen zu können. Sie haben in Ihrer edlen Unbefangenheit vielleicht gar keine Vorstellung davon, wie sehr jedermann von Ihrem Wesen angezogen wird, der das Glück hat, in Ihre Nähe zu kommen. So finde


  1. So hat auch Raumer gewiß in Frau von Lüttichaus Sinne gehandelt, wenn er aus den zahlreichen Briefen, die beide sich in den Jahren 1833–1852 schrieben, in seinem Literarischen Nachlaß (II 214–224) nur Bruchstücke aus seinen Briefen, kein einziges dagegen aus den ihrigen veröffentlichte.
  2. Tieck zu Carus (Lebenserinnerungen III 93): „Wenn irgendeine, so sei diese Frau eigentlich berufen und berechtigt gewesen, als Schriftstellerin aufzutreten und als solche nachhaltig zu wirken, nur daß die feine Fühlung ihres Wesens ihr selbst überall dergleichen untersagt habe.“
  3. Im Juni 1826 weilte Tieck mit den Seinen und der Gräfin Henriette Finkenstein in Teplitz, dessen Bäder, wie in früheren Jahren, sein altes gichtisches Leiden (Köpke a. a. O. II 36, 42) lindern sollten. Frau von Lüttichau befand sich zu dieser Zeit auf Rittergut Ulbersdorf, dem Familienbesitztum ihres Gatten, wo sie sich zu ihrer Erholung, vor allem aber um ungestört ihren wissenschaftlichen Studien leben zu können, öfters während der Sommermonate aufzuhalten pflegte. Vgl. Ein Lebensbild 26 f.; Carus, Lebenserinnerungen III 94 Anm.