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Mit regem Interesse verfolgt der Dichter begreiflicherweise alle Vorgänge am Dresdener Theater. Bei seiner feindseligen Einstellung gegenüber den literarischen Erzeugnissen des Jungen Deutschland verdrießt ihn der ihm unverständliche gewaltige Erfolg des Lustspiels Zopf und Schwert in Dresden. Die Anstellung Karl Gutzkows, seines schlimmsten Feindes, als Dramaturg am Dresdener Theater bezeichnet er unverhohlen als schweren Mißgriff. Zu ihrer Rechtfertigung versichert ihm Frau von Lüttichau, sie habe eindringlich vor diesem Schritte gewarnt, sei aber mit ihren Vorstellungen nicht durchgedrungen.

Ein Berliner Ereignis, das Tieck und die Freundin gleicherweise berührt, ist der Fall Raumer. Herzerfreuend wirkt die Wärme, mit der Tieck 1847 für den Freund eintritt, als sämtliche akademischen Kollegen ihn nach seiner vom König übel aufgenommenen Festrede im Stich lassen. Von Frau von Lüttichaus gesundem Urteil zeugt es, wenn sie bei aller Hochachtung vor Raumer mit Ausdruck und Form seiner Rede nicht ganz einverstanden ist. Über die 1847 vom König bei Eröffnung des Landtags gehaltene Rede liegt nur eine Äußerung Frau von Lüttichaus vor. Sie empfindet keine reine Freude darüber; des Königs Wagemut stimmt sie bedenklich. Als überzeugter Anhänger der Monarchie verabscheut Tieck die Frevel der Revolution und bedauert, daß die Freundin davon nicht unberührt blieb. Mit bewegten Worten versichert sie ihm Herbst 1849, das über Deutschland hereingebrochene Unheil habe sie andauernd tief erschüttert, jetzt erst fühle sie sich wieder unbeschwert. Vernichtend urteilt Tieck über Louis Napoleon. Schon Bonaparte war in seinen Augen ein Nichtswürdiger.

Die immer größer werdende Macht des Katholizismus in Deutschland erfüllt Tieck 1846 bereits mit banger Sorge. Schlimmes befürchtet er aber auch von den Folgen einer übertriebenen politischen Reaktion. Eindrucksvoll ist das Bild von Deutschland, das der Dichter in seinem vorletzten Briefe zeichnet: auf der einen Seite große Fortschritte der Naturwissenschaften und der Technik, dazu ein gesteigerter Lebensgenuß, auf der anderen Seite zunehmende Armut und unzulängliche Mittel des Staates, zu helfen.

Auch auf Vergangenes kommt der Dichter gelegentlich in diesen Altersbriefen zu sprechen. Die Freundin soll wissen, wie gespannt und unerquicklich sich zeitweise sein Verhältnis zu Bruder und Schwester gestaltete, wie herzerfreuend und wertvoll dagegen für ihn die Freundschaft mit Wackenroder, Novalis, Solger und ihr gewesen sei, wie jedoch Wilhelm und Friedrich Schlegel nicht verdienten seine Freunde zu heißen. Als Tieck immer hinfälliger wird und, des Lebens überdrüssig, den Tod herbeiwünscht, denkt er unwillkürlich an die ihn in früher Jugend beglückende Todessehnsucht zurück. In seinem letzten Briefe offenbart der greise Dichter der Freundin schließlich noch als teures Vermächtnis das für ihn einzigartige