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Musica sacra an einer ihrer lautersten damals durch Bainis Palestrinaforschungen erschlossenen Quellen zu studieren[1], und von dort (1825) zurückgekehrt, war er unter Zelter noch vorübergehend Lehrer am Königlichen Institut für Kirchenmusik in Berlin gewesen. Da konnte man also wohl hoffen, einen zweiten Naumann in ihm für Dresden zu gewinnen. Daß er wie dieser Protestant war, mußte bei der bewußt toleranten Gesinnung des Königs weniger ins Gewicht fallen, die er bereits als Kurfürst in seinem politischen Testament (1787) kundgab. Dieser warnt dort vor jedem „Schein der Bigotterie“, da daraus geschlossen werden möchte, daß man „die Religionspflichten aus einem irrigen Gesichtspunkte betrachten und dadurch leicht zu ungerechten Schritten verleitet werden könnte“. Zugunsten Reißigers sprach aber auch noch, daß schon auf Grund seiner künstlerischen Vergangenheit und seines gewinnenden Wesens ein irgendwelches Hervorkehren des konfessionellen Standpunktes in keiner Weise zu befürchten war. Abgesehen davon, daß dem die ganzen Anschauungen der Zeit entgegenstanden, denen dieser auch in Dresden unter dem Kirchenregiment eines Ammon u. a. begegnen mußte, und die dahin gingen, daß die Religion nicht das Wissen von Gott wolle, sondern die innere Beruhigung, Heiligung und Erhebung des Menschen, und daß Religion und Pietät nahe verwandt seien[2]. Anschauungen, die denn auch in den Kirchenkompositionen Reißigers ihren zeitlich und persönlich gefühlsmäßigen Ausdruck fanden und die es verständlich machen, daß ein Ludwig Richter, der ihn bei Bunsen in Rom „näher kennen und hochschätzen gelernt“ hatte, schreiben konnte: „Jetzt, in meinem sechsundsiebzigsten Jahre, erfreuen und erbauen mich oft seine schönen Messen in der katholischen Hofkirche. Sie sind der Ausdruck eines tiefreligiösen Gemütes.“ Im Kirchendienst bevorzugt von ihnen ist die in As-Dur mit einem interessanten Kredo[3], in dem sein Schöpfer nach Angabe seines Schülers Edmund Kretschmer ein Beispiel seiner Auffassung des in der Zeit, in der das Werk entstand, aufgekommenen Begriffes unendliche Melodie niederlegen wollte. Auch das in der Melodik freilich stark sentimental gefärbte Requiem gehört zum eisernen Bestand des Repertoires der Kirchenmusiken in der katholischen Kirche. Das Quam olim Abrahae ist eine formal meisterliche Tripel-Fuge. Eine H-Moll-Messe (Nr. 8) enthält ein für Mitterwurzer geschriebenes Baritonsolo (Agnus Dei)[4] und eine solche in D-Moll mit großartiger


  1. Chr. Carl Josias Freih. v. Bunsen. Aus seinen Briefen geschildert von seiner Witwe. Deutsche Ausgabe verm. durch Friedr. Nippold, Leipzig 1868.
  2. Hedwig Abeken geb. Olfers: Heinrich Abeken, Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit. Berlin 1894.
  3. Das Kredo im I. Band der Musik am sächsischen Hofe.
  4. Von C. H. Döring in seiner Sammlung geistlicher Vokalmusik für 1 Singstimme mit Klavier oder Orgel veröffentlicht. (C. Hoffarth, Dresden.)