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als läge die Partitur noch zur saumselig betriebenen Beurteilung bei Reissiger, während dieser bereits sein Urteil abgegeben hatte, und die dann erst erfolgende Randbemerkung nur den augenblicklichen Aufbewahrungsort dem Intendanten oder irgendeiner anderen Person, vielleicht dem Chordirektor Fischer, der ja auch für die Annahme der Partitur war, anzeigen soll. Übrigens war auch gerade dieses Jahr ein so arbeitsreiches, daß alle Kräfte des Instituts übermäßig in Anspruch genommen waren. Wagner schreibt: „. . . . . .ich weiß, daß selbst die seit langer Zeit zur Aufführung bestimmte neue Oper von Herrn Kapellmeister Reissiger (Adèle de Foix K. K.) nicht vor Herbst dieses Jahres in Szene gehen können wird.“

Eine absichtliche Verzögerung hätte ja auch gar keinen Sinn gehabt. Der noch unbekannte Wagner hatte noch keine Gegner wie später; der „Rienzi“ war noch im älteren Stil, wenn er auch alle bisherigen Schwierigkeiten übertraf, und Dresden suchte nach dem großen Hugenotten-Erfolg von 1838 wieder nach etwas Ähnlichem, hatte aber unter Reissigers Eintreten für deutsche Opernneuheiten[1] längere Zeit ungünstige Erfahrungen gemacht, so daß der „Rienzi“ endlich wieder einen Erfolg versprach. Die Uraufführung desselben aber bleibt eine unbestrittene Tat der Dresdner Hofoper und Reissigers, welcher sich keine Mühe verdrießen ließ, daß an Länge und Schwierigkeit unübertroffene Werk peinlichst einzustudieren. Gerade der große Erfolg der von Reissiger geleiteten Rienzi-Uraufführung (20. Oktober 1842) hatte auf Wagners spätere Entwicklung einen erheblichen Einfluß, denn von da an hatte er besonders vor sich selbst den Befähigungsnachweis erbracht. Reissigers Annahme des Rienzi bedeutete somit einen Wendepunkt in Wagners Leben. Durch den „Rienzi“ erlangte Wagner eine Beliebtheit, wie später zu Lebzeiten nie mehr, und er wußte es auch zu schätzen, was die Protektion eines Hoftheaters für einen jungen Komponisten bedeutet. Alle Briefe aus dieser Zeit sind in zufriedenem Tone gehalten, und zu Reissiger gewinnt er ein herzliches Verhältnis.

Nun wurde Wagner aber bekanntlich 1843 als Hofkapellmeister neben Reissiger angestellt. Reissiger war froh, nach sechzehn so außerordentlich aufreibenden Jahren, in welchen er oft lange Zeit hindurch die ganze Leitung allein hatte (erst kürzlich wieder nach Morlacchis [1841] und des Musikdirektors J. Rastrelli Tode, so daß er die Rienzi- Vorbereitungen nur auf seinen Schultern ruhen hatte), eine junge, deutsche Kraft zur Unterstützung zu erhalten, da sich gerade jetzt eine sehr verständliche Nervenüberspannung bemerkbar machte. Freilich eine größere Entlastung wird Wagner nicht herbeigeführt haben, denn, da dieser wieder, wie Morlacchi, keine Klavierfertigkeit hatte, blieb Reissiger ein großer Teil der mühsamen Klavierproben. Der andere Teil wurde von dem eben auch neu angestellten Musikdirektor Röckel übernommen.

Die Bedingungen bei Wagners Antritt waren gegen dieselben bei Reissigers

Anstellung ungleich günstigere. Der Sieg der Deutschen über die Italiener war entschieden. Ferner hatte der Rienzi-Erfolg seinem Schöpfer beim Intendanten einen großen Einfluß gesichert, so daß Wagner als Kapellmeister von vornherein größere Zugeständnisse erhielt. Das einschmeichelnde


  1. Vgl. Kretschmar, Ges. Aufsätze I, 478.