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1859) noch nicht in der Kirche mitwirken[1], da erst 1864 ein entsprechender Erlaẞ kam. Infolgedessen hatte Reissiger nach Eingehen der italienischen Oper mit ihren Kastraten eine Krisis in der Kirchenbesetzung durchzumachen. Während erst Sassaroli und Tarquinio, die, nebenbei gesagt, die Summen von 17 000 und 14 000 Talern Gehalt schluckten, was dafür anderen Sängern entzogen werden mußte, die Koloraturen und Schnörkel der älteren Kirchenkompositionen herunterperlten, mußten nach 1845, als Tarquinio, der letzte Kastrat in Deutschland, abging, begabte Chorknaben die Sopran- und Alt- solopartien übernehmen. Die vorgeschrittenen sittlichen Anschauungen hatten schon lange gegen das Kastratenwesen gearbeitet, nur in Dresden hatte es sich, wie ja auch die italienische Oper, sehr lange behauptet. Zuccalmaglio, einer der Davidsbündler, wettert in den Jahrbüchern des Nationalvereins (1839, S. 194) gegen die Dresdener Unsitte, wobei er Reissiger im Kampfe hilft und lobt, daß er „schon mehrere Messen gesetzt, in denen er eine strenge Stimmführung im Gesange beobachtet, aus denen er alles Singspielartige verbannt und alles Bunte der Begleitung weggelassen“. Aber die „Gurgeleien“ der Kastraten kitzelten eben die Ohren noch immer[2]. Reissiger interessierte sich sehr für die zu seiner Zeit betriebene Reform der katholischen Kirchenmusik, wie er überhaupt an allen Gegenwartsfragen Anteil nahm. Er wurde deshalb auf Spontinis Vorschlag zum Ehrenmitglied der „Akademie der Heiligen Cäcilia“ in Rom ernannt.

Der Kirchendienst war sehr umfangreich. Das Kgl. Orchester hatte im Jahre ca. zweihundertundfünfzig Dienstleistungen, die noch neben der Oper zu erledigen waren. Dazu kamen auch noch Aufführungen in der Neustädter katholischen Pfarrkirche, die heute weggefallen sind[3]. Ein Teil der instrumentalen Aufführungen ist heute in rein vokale umgewandelt worden. Die Programmzusammenstellung der Kirchenmusik war durch verschiedene Gesetze und Stiftungen eingeengt.

Eine ähnliche Krisis wie in der Kirchenbesetzung sollte bald, wenn auch nicht so schlimm für die Oper eintreten. Die Dresdner Oper war, wie wir wissen, am Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre zur ersten Pflegestätte der Bühnenmusik in Deutschland aufgestiegen. Ein Aufsatz in der Zeitschrift „Komet“ 1842, Nr. 177/78 (teilweise abgedruckt in der A. M. Z. 1842, S. 918) berichtet davon, indem alle deutschen Bühnen verglichen werden. „Die Trefflichkeit der königlichen Musikanstalten zu Dresden muß ihm,“ so wird von Reissiger als dem Leiter berichtet, „Lohn für viele Mühen und Sorgen, für manchen harten, langen, bestandenen Kampf sein.“


  1. Auch bei weltlichen Veranstaltungen für gemischten Chor wurde es spät allgemeinüblich, Sängerinnen mitwirken zu lassen. Wir lesen noch 1836 (A. M. Z. S. 468) gelegentlich des Rathenower Gesangfestes: „Von jetzt an sollen immer, wie diesmal zuerst, Frauenzimmer zum Gesange gezogen werden“.
  2. Durch gütige Vermittlung des Herrn Hofkapellmstr. Pembaur, des jetzigen Leiters der Kirchenmusik, war es mir erlaubt worden, Einsicht in das Manuskript des demnächst im Druck erscheinenden Buches von Merkel, „Die kath. Kirchenmusik (mit besonderer Berücksichtigung der Aufführungen in der kath. Hofkirche zu Dresden)“, zu nehmen, wofür auch an dieser Stelle gedankt sei.
  3. Vgl. Tagebuch der Geschichte Dresdens im 19. Jahrhundert, gehalten von Ch. C. Hohlfeld. (Unveröffentlichtes Manuskript in der Kgl. Landesbibliothek Dresden, Msc. Dresd. d. 71.)