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denn hin, du lieber Brief, und sage meiner Marie zum letzten Male durch Schriftzüge, wie unendlich ich sie liebe. Ja mein Mariechen, bald bin ich in Deinen Armen und eine, will's Gott, lange Reihe glücklicher Jahre liegt unseren Augen enthüllt, wo wir uns nun das beweisen wollen, was wir uns so lange versprachen und immer wiederholen mußten, Liebe und Treue bis zum Tode. Unser Tun und Treiben tritt nun an die Stelle der schönen Worte, und wenn es an Herzlichkeit und Wahrheit ihnen gleichkommen wird, so sind wir gewiß glücklich. Was soll ich Dir nun noch schreiben? Noch einen Tag hast Du nach Ankunft dieser Zeilen zu verleben ohne Deinen Reissiger. Freust Du Dich so auf seine Ankunft, als ich mich auf meine Abreise von hier, so muß unser Wiedersehen nach beinahe halbjähriger Trennung ein freudiges, entzückendes sein. – Die Karten bringe ich mit, grüße alle herzlich, besonders die lieben Eltern. Morgen abend 6 Uhr reise ich ab. Lebe wohl, meine Marie. Ewig Dein C. G. Reissiger. Dresden, vom 8 ten Mai 28.“

Daß man in Dresden das Ereignis nicht unbeachtet vorübergehen lieẞ, ist selbstverständlich. Der bekannte Dichter der „Urania“, Tiedge, den Reissiger schon 1824 kennen gelernt hatte, widmete der Braut ein tiefes Gedicht[1]. Sämtliche Mitglieder der Kgl. Kapelle überreichten ferner ihrem „verehrten Herrn Kapellmeister bei seiner Rückkehr nach Dresden mit seiner geliebten Gattin Marie geb. Stobwasser in Liebe und Hochachtung“ einen gedruckten Huldigungruß, von dem wir hier nur den humoristisch gefärbten Schlußvers bringen:

„Denn wie kein Ton sich einzeln kann gestalten,
Und nur Verein Bedeutung ihm gewähret,
So wird auch hier die Harmonie stets walten,
Wo sich gefunden, was sich liebt und ehret.
Es einen sich der Töne freie Geister
Zum Vollakkord in gleicher Liebe Brande:
Drum lebe hoch der vielgeliebte Meister
Und hoch Maria, seine Dominante.“

Als Dichter wurde der Schauspieler Kriete vermutet, der später auch den Text zu Reissigers Oper: „Der Schiffbruch der Medusa“ geschrieben hat.

Das folgende Jahrzehnt war nun für Reissiger das glücklichste und erfolgreichste seines Lebens, für die deutsche Oper in Dresden und für Dresdens Musikleben selbst eine große Blütezeit. Sein Ruf als Dirigent und Komponist drang weit über Dresden hinaus, ja sogar jenseits Deutschlands Grenzen wird Reissiger populär. Einen besonders großen Erfolg verdankte er seiner Bühnenmusik zu dem Scribeschen Drama: „Yelva oder die Stumme“ (deutsch von Th. Hell, 1828). Die Komposition erbringt den Beweis, daß Reissiger tatsächlich Anlagen zum dramatischen Komponisten hatte, wenn sie nur durch einen geeigneten Text geweckt wurden, aber niemals wieder hatte er das Glück gehabt, einen so dramatischen Vorwurf, wie Yelva, zu erlangen. Ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung war, wie die Berichte belegen, Yelva durchaus noch ein Zugstück der deutschen Theater; und selbst zur Feier des hundertsten Geburtstages Reissigers (31. Januar 1898) hat sie in der Dresdner Oper unter Schuch Wirkung ausgeübt, so daß


  1. Bisher unveröffentlicht; im Besitze des Herrn Bürgermeister R.