Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/54

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

tritt man in ein Zimmer, in welchem sich eine Sammlung der ältesten Instrumente befindet. Man sieht dort Harfen und Lyras, die uns jetzt ganz unbekannt sind, in den seltensten Formen. Aus diesem Zimmer tritt man in die Bibliotheca selbst. Nach vielem Anschauen der mannigfaltigsten Seltenheiten habe ich mich endlich in eine alte 16 stimmige Scharteke verliebt und bin entschlossen, mich mit ihr vertraut zu machen. Hierher wird mich täglich mein Genius leiten, und hier will ich studieren, was mir nur wird meine Zeit erlauben, denn der freundliche Archivar schließt mir gern und willig jeden Schrank auf. Eines Vormittags schlug ich mir Martini Saggio fondamentale del Contrapuncto auf, und ich fand dort einen Schatz von Beispielen von Fugen aller Art, von den besten, ältesten Meistern. Es ist zwar sehr breit und weitschweifig, aber doch ewig nützlich und kostbar. Mit dem eigentlichen Musiktreiben in Liceo filharmonico will es nicht viel heißen. Die Einrichtung gefällt mir nicht, die Schüler ganz ohne Aufsicht zu lassen, ob sie studieren wollen oder nicht. Es fehlt der Einrichtung der Ernst, ohne welchen nichts gegründet werden kann. Gewöhnlich hören die jungen Leute auf zu studieren, wenn sie an irgendeinem Orchester angestellt worden sind und sich nun fähig glauben, die Studien links liegen zu lassen. Wer aber könnte jemals aufhören, wenn er nicht verblendet, ist?

Der gute Abbate Mattei gibt den Unterricht in seinem Hause, da er alt und schwach und ein geplagter Podagrist ist. Ich habe viel mit ihm geschwatzt, obgleich er sehr unverständlich ist, da er keine Zähne mehr hat.Aber ich habe einen alten Heros im Kontrapunkt und einen tüchtigen Rechenmeister in ihm erkannt, den ich wohl benutzen möchte, wenn ich von Neapel über Bologna und Ferrara nach Venedig zurückgehen würde. Sein Kopf ist höchst ehrwürdig – seine Miene die Gefälligkeit und Gutmütigkeit selbst! – Zum Palmsonntag muß ich in Rom sein. Diesen Tag versäume ich auf keinen Fall! Mattei sagte mir, daß ich in diesem anno santo recht viel Gutes in Rom hören würde, und ich freue mich gar kindisch darauf.“

Folgende Stelle ist für das ausgeprägte Heimatgefühl bei Reissiger charakteristisch: „Aber welches kalte Wetter! Ich drehe mich wie ein Braten an dem fatalen Kamin herum und friere nur an der Seite, die ich dem Feuer nicht zukehre, während ich an dieser brenne! Was würde mir ein deutscher Kachelofen hier eine liebe Figur spielen. – Hin und wieder kommen doch heiße Sehnsuchten nach dem geliebten Deutschland, welche alle Reize Italiens nicht wegzaubern können; es ist nicht der Boden, sondern es kommt aus dem Innern des Menschen. Die Menschen selbst sind so ganz verschieden von uns – sie sind sehr abgeschliffen, sehr höflich und gewandt, aber im Grunde viel ungebildeter, viel roher, als wir Norddeutschen – ihre Höflichkeit ist nur äußeres Hören und Angewohnheit!“ Er fährt dann fort: „Noch habe ich den Pariser Text nicht, und es fragt sich, ob ich Zeit haben werde, und ob meine Komposition noch zur rechten Zeit eintrifft. Erhalte ich den Text zum Concours, so will ich's wagen, obgleich den Franzosen der Text leichter werden wird als uns Deutschen und obgleich ich weiß, daß ich mit Catel, Berton, Boieldieu und Paër konkurrieren werde.“ In einem anderen Briefe spricht Reissiger sich über die Preisbewerbung folgendermaßen aus: „Was die Preisbewerbung in Paris anbelangt, so bin ich sehr gut davon unterrichtet. Der König von Frankreich hat nämlich einen Preis demjenigen