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Blasinstrumente dazukommen, so weiß man nicht mehr, was man bei diesem unreinen, teuflischen Lärm denken soll. – Die Dekoration übertrifft alles, was ich gesehen habe.“ Über den Gesang schreibt Reissiger lobend: „Auf der Lehre des Gesanges allein scheint noch der Segen der entschlafenen klassischen Meister zu ruhen, die in einem Zeitraum von hundert Jahren so zahlreich in Italien lebten und wirkten und uns Deutschen zum achtungswürdigen Vorbild geworden sind. Mit der Komposition muß es hier zu Ende gehen, wenigstens wird kein Deutscher und hoffentlich auch kein Franzose in kurzer Zeit sich noch an diesem Klingklang erbauen; wir, die wir noch Kraft besitzen, um uns an dem wahren Gediegenen und Größen, was unsere unbestochenen, kräftigen Vorfahren geschaffen haben, zu erheben und zu stärken. Die Schätze des Altertums, die herrlichen Arbeiten des Scarlatti, L. Vinci, Pergolesi, Leo, Porpora, Durante, Jomelli, Piccini, Sacchini modern in den Bibliotheken und liegen unbenutzt. Gebt sie uns Deutschen, ihr geist- und körperschwachen italienischen Süßlinge! Wir wollen sie ehren und ihnen die Unsterblichkeit sichern. Italien ist nicht mehr!“

Man beachte, daß das in einer Zeit geschrieben ist, in welcher noch keine musikhistorische Wissenschaft im heutigen Sinne dazu auffordern konnte.

In Reissigers Enttäuschung über die italienischen Musikverhältnisse fallen aber auch Lichtstrahlen, die ihm Mailand sogar unvergeßlich gemacht haben. Abgesehen von den Karnevalsfreuden, bei denen er „außerordentlich lustig“ war, hat er noch Höheres erlebt. Wir lesen: „In einigen musikalischen Häusern, namentlich bei der Generalin Ertmann[1], Beethovens bester Schülerin, habe ich Genüsse gehabt, die ich nicht wieder in Italien haben werde. Die Generalin Ertmann, eine der ersten jetzt lebenden Klavierspielerinnen, hatte mich sehr an Mailand gefesset. Diese liebenswürdige Frau und ihr Gemahl, welche mich sehr herzlich aufgenommen haben, leben beide nur für gute Musik. Acht Tage lang hatte ich von ein bis zwei Uhr den hohen Genuß, sie alle Beethovenschen Kompositionen spielen zu hören. Viele von diesen Beethovenschen Sonaten waren mir unbekannt, und Sie können denken, wie interessant es mir war, sie mit neuem Geist vortragen zu hören und mit einer musterhaften Vollendung, so daß ich gestehen muß, daß ich diese Kompositionen für Klavier erst jetzt recht verstehen gelernt habe. Ich mußte ihr auch von meinen Klaviersachen vorspielen, von denen ihr besonders meine Fantasie (die ich Hofmeister verkaufte) und mein letztes Trio außerordentlich gefielen. Meinen Liedern schenkte sie ihren ganzen Beifall, vielleicht, weil sie lange keine einfachen deutschen Lieder gehört hatte[2]. Die Nachmittage spielten wir vierhändig Sonaten usw. und lebten uns in sämtliche Beethovensche Symphonien ein. Wir trachteten danach, sie ganz in Beethovens Geist vorzutragen. Gern würde ich in Mailand länger verweilt haben, denn es gab dort noch viel für mich, aber es ist ein teures Nest für einen armen Teufel, dem die Paoli spärlich zugemessen sind und


  1. Dorothea von Ertmann geb. Gramann, 1778 – 1848, war eine hervorragende Interpretin Beethovens; dieser hatte sie seine „Dorothea Caecilia“ genannt und ihr die A-Dur-Sonate op. 101 gewidmet, was Thayer-Riemann als charakteristisch für ihr freies und den Inhalt tief erfassendes Spiel bezeichnet, da die Sonate besonders freie Temponahme beansprucht.
  2. Im Vergleich zu den übermäßig verzierten ital. Liedern.