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Wie groß war meine Freude, als unsere kleine Canzi[1] hervortrat! Sie singt hier mit vielem Beifall, obgleich die Partie in dieser fatalen Oper viel zu tief für ihre Stimme war und keine Gelegenheit gibt, sich zu zeigen. In der ersten Karnevalsoper von Mercadante[2] hat sie sich nach dem Ausspruch der Turiner mit großem Beifall gezeigt. Ihr Gesang gefiel mir demohnerachtet, ich fand, daß ihre Stimme stärker geworden war. Sie hat mehr Bühnenkeckheit bekommen (Routine).“

Von der Schauspielpflege in Turin berichtet Reissiger an den Minister: „Das Schauspiel[WS 1], welches, wie ich hörte, das erste in Italien sein sollte, hat mir einen niedrigen Begriff von dem Standpunkte der Deklamation gegeben. Findet man es in Paris schon empörend, wenn die Schauspieler durch unmäßiges Schreien und durch Grimassen Effekt hervorzubringen versuchen, wie sehr muß einem hier befremden, wenn man außer den französischen Untugenden noch Unanständigkeiten und Gemeinheiten eingemischt, um dem Publikum zu gefallen. Das zweite Operntheater in Turin (Teatro Sutera) ist nicht der Rede wert. Ich ging ins Teatro Sutera, um die weltbekannte Oper von Generali[3]: „La Donna del colle erboso“ anzuhören. Aber auch hier erbaute ich mich nicht sehr, weil die Sänger gar schlecht arbeiteten. Montag sang die Canzi im Teatro Reale ein Duett von Mercadante mit Signora Lorenzani, welches sie mir gewaltig gerühmt hatte. Es war aber eine sehr schwache Rossinische Lozie (?). M. Lorenzani gilt in Italien für den zweiten Musico in der Oper. Als erster wird Signora Pisaroni hier angenommen, welche ich leider nicht hören kann, da sie noch krank ist. Die Lorenzani hat mir sehr gefallen. Die Stimme ist schöner als die der Vespermann[4] und ihre Tiefe ist sehr volltönend.

Auf Anraten des Barons Zinnica ging ich gerade nach Mailand, da in Genua für die Musiker nichts zu holen ist. In Mailand will ich die letzten Tage des Karneval noch genießen.“

Von Mailand hat Reissiger nun einen sehr eingehenden, fesselnden Bericht über das Konservatorium abgesandt, wozu der alte, ehrwürdige Direktor Censore Minoja ihm in größter Gefälligkeit die Unterlagen geliefert hatte[5]. Der Dank des Ministers zeugt von hoher Befriedigung und Anerkennung der Dienste Reissigers. Auch hat Reissiger erneuten Zuschuẞ aus Berlin erhalten. Wir heben aus diesem Bericht nur die Mahnungen Reissigers an junge Komponisten hervor: „Auch sollten Komponisten und Virtuosen oder vielmehr die Jünglinge, die sich dazu bestimmen, mehr zum Gesang angehalten werden. Der Gesang vorzüglich leitet uns auf das Wahre und Richtige im Vortrag und Ausdruck, durch ihn wird der Sinn für das Schöne geweckt und unser Herz aufgeschlossen, durch ihn wird unser Gefühl am kräftigsten geweckt. Wir finden diese Behauptung in der theoretischen und praktischen Tonkunst bestätigt, man sagt, dieser Komponist


  1. An anderer Stelle (Bericht) zählt er sie zu den besten ital. Sängerinnen.
  2. 1795 – 1870 ital. Kirchen- und Opernkomponist, Schüler Zingarellis. Aus seiner Oper „Der Schwur“ kann man heute noch manchmal Stücke hören.
  3. 1783 – 1832 ital. Opernkomponist, der durch Rossinis Auftreten seiner Beliebtheit beraubt wurde.
  4. Berühmte zeitgenössische deutsche Opernsängerin.
  5. Vgl. Anmkg. auf S. 36.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schauspeil