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Was nun die Sänger derselben anlangt (der italienischen Oper), so steht obenan Mad. Pasta, eine vollendete Sängerin, groß als Desdemona im Othello, als Tancredi, als Romeo vom Zingarelli unnachahmlich, vollkommen im Spiel, vollendet in ihren höchst geschmackvollen Koloraturen, hinreißend durch ihre Kunstfertigkeit, bezaubernd durch ihre Stimme, rührend durch die Tiefe des Gefühls und durch den unerklärbaren Zauber ihres ganzen Wesens, das dabei etwas Männliches hat. Beschreiben läßt sich das nicht – aber das ist auch der ganze Schatz der italienischen Oper, wenn man nicht von den höchst mittelmäßigen Sängern und von den wenigen bedeutenden, wie man sie in Dresden, München, Wien bei der italienischen Oper genug findet, noch den Bassisten Levasseur und einige junge Talente, wie die Damen Demery und Cinti, auszeichnen will. Die Ensembles habe ich in Wien besser gehört. Das Orchester ist hier ganz vollendet, die meisten sind Zöglinge des Konservatoriums, ebenso wie in der Großen französischen Oper (Académie Royale) und in der Opéra Comique (Feydeau), zwei in ihrer Art vollendete Institute. Beide Theater haben ebenso wie das italienische ein bestimmtes Publikum, weil jedes derselben sich in einer bestimmten Gattung der Komposition bewegt und die Grenzen sehr streng gehalten werden. Die Académie Royale ist durchaus nur für die größeren dramatischen Werke älterer und neuerer Zeit und für die großen Balletts, deren Muttertheater sie genannt zu werden verdient, wenigstens kenne ich noch nicht etwas Vollkommeneres[1]. Hier hören sie die Meisterwerke von Grétry, Piccini, Sachini, Gluck, Mozart (leider Mozarts Mystère d’Isis in die Misères d’Isis verwandelt, d. h. ganz verstümmelt, denn der echte Franzose kennt Mozart nicht genug), Spontini höchst vollkommen, kurz alles, was deklamatorischer, großer Gesang heißt, weshalb man auch diesem Theater den Vorwurf macht, daß seine Sänger schrien, was ich auch gefunden habe, aber auch bei der Größe des Theaters und des starken Orchesters sehr notwendig finde, denn man würde nichts hören, wenn man weniger artikuliert und daher gesangsmäßig singen wollte. – Dagegen hört man im Théatre Feydeau[2], daß die Franzosen auch singen können, und dies ist das echte französische Theater, die Schule der französischen Musik, hier herrscht Boieldieu, Auber, Herold. Der Ruhm des Ersteren ist entschieden, die beiden Letzteren sind sehr talentvolle Männer, nur sind sie in meinen Augen infame Schelme und schlechte Franzosen, denn sie verwischen in ihrer Komposition den französischen Genre mit dem rossinischen, und das ist erbärmlich. Ich würde, wenn ich Franzose wäre, laut mich dagegen auflehnen, daß der herrliche Geschmack, der edle französische Stil, wie ihn Méhul und andre ihrer Vorgänger rein und lieblich in den Romanzen zu erhalten gesucht haben, daß dieses Theater, welches der Stolz der Pariser sein könnte, wenn diese Schlingels nicht selbst die französische Musik mit Füßen träten, so ganz aus der Art schlüge. Dieses Theater besuche ich fleißig, um womöglich das Beste zu behalten, nirgends kann man den Theatereffekt mehr kennen


  1. Im Bericht heißt es, daß die Akadémie Royale allein den „französischen genre“ rein und unverfälscht zu erhalten sucht (Deklamat. Pathos).
  2. Im Bericht heißt es: „Hier lernt man den leichten französischen Stil kennen, der sich frei und ungezwungen bewegt, sich über steife Deklamation erhebt und daher mehr Gesang zuläßt.