Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/38

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mich bei ihm eingeführt. Kreutzer[1] ist ein lieber, scharmanter Mann, durch ihn erhalte ich ebenfalls oft Billetts für die große französische Oper, wo er Direktor ist. Auch Baillot[2], von dem die ganze Welt spricht, habe ich ein ganz erbärmlich komponiertes Violinkonzert, von seiner Komposition meisterhaft vollendet, göttlich vortragen hören.“

Im Bericht an den Minister erzählt Reissiger von den Meistern, die er persönlich kennen lernte: „Die Bekanntschaft mit den großen Meistern, die die Hauptstadt zu ihrem Sitze ersehen haben, teils weil sie im übrigen großen Frankreich keine Gelegenheit haben, sich auszuzeichnen oder dem Staate zu nützen, die Menge der jungen Künstler, die sich alle nach der Hauptstadt wenden, um von diesen Meistern zu profitieren; das Konservatorium, alles ist interessant, und ein Fremder findet eine Masse von Talenten in einer Stadt, die er in ganz Deutschland nicht vereinigen kann. Die großen Meister Cherubini, Kreutzer, Paër, Lesueur[3], Boieldieu usw. können aber durchaus nichts beitragen, um die leichte französische Nation vielseitig oder doch wenigstens gebildet in ihrem Geschmack zu machen. Für gediegene Musik, für Werke, die gut gearbeitet, gut durchdacht sind, ist der Franzose nicht geeignet; er hat keinen Sinn für Kirchenmusik, die denn auch in Paris ganz schläft. Nur in der Hofkapelle hört man unter Cherubinis Leitung zumeist eine gute Musik. Der Kirchengesang und die Organisten sind schlecht, letztere werden sehr schlecht bezahlt, und man ist schon zufrieden, wenn man zu solchen Kapellen Subjekte findet, die notdürftig einen Choral spielen können. – Messen, Oratorien, überhaupt Werke strengen Stils sind Kompositionen, die vorzüglich in neuerer Zeit hier ganz vernachlässigt werden, weil sie nichts eintragen, und selbst Cherubini hat deren wenige nur bei außerordentlichen Gelegenheiten für die Hofkapelle geschrieben; mit diesem und mit den Mozartschen und Haydnischen wird abgewechselt, und nur selten zum Glück fällt es einem anderen Kapellmeister ein, eine ältere französische Messe aufzuführen, die im allgemeinen schlecht sind. Werke wie die Haydnischen Oratorien, die Händelschen, die Tongemälde von Beethoven kennt man nicht, die Namen Hasse, Graun usw. sind unbekannt, weil man sich in Frankreich nicht so, wie in Deutschland, beeilt, fremde Werke zu übersetzen und zu würdigen, und es ist ein Glück, daß das Requiem von Mozart lateinischen Text hat, sonst würde man es nicht kennen. Jedoch wird man bald auch in Frankreich darin gewiß fortschreiten, wenigstens ist es eine gute Vorbedeutung, daß man hier theoretische Werke, wie G. Webers Theorie der Tonsetzkunst, Schichts Grundregeln der Harmonie usw., anfängt, ins Französische zu übersetzen, daß man sogar dramatische Werke in kurzer Zeit zur Ehre der Deutschen, nämlich Winters „Opferfest“ und Webers „Freischütz“, übersetzt und mit Beifall aufgenommen hat, und das zu einer Zeit, wo Rossini anfängt, in Paris zu dominieren.“


  1. 1766 – 1831 berühmter Violinvirtuos und Lehrer, erster Kapellmeister der großen Oper in Paris. Beethoven widmete ihm 1805 die Violinsonate op. 47 (Kreutzersonate).
  2. 1771 – 1842 berühmter Violinvirtuos und Lehrer.
  3. 1760 – 1837 Komponist franz. großer Opern, erster Hofkapellmeister Napoleons, Professor am Pariser Konservatorium. Als Programmusiker Vorläufer von Berlioz.