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wichtigen Kenntnisse der alten und neueren Sprachen, in denen sich die Musik zu bewegen pflegt, eigen gemacht hat. Diese sämtlichen Kenntnisse qualifizieren nach meiner Überzeugung zu jeder Kapellmeisters und Direktors Stelle; da aber Herr Reissiger mit denselben eine ganz besondere Fähigkeit zu unterrichten, sein Wissen ebenso systematisch als klar mitzuteilen, vereinigt, und auch seine Moralität ungeachtet seiner Jugend die vorteilhafteste ist, und in voller Übereinstimmung mit seinem guten und soliden Charakter steht, so würde derselbe als Kantor an einer Kathedrale oder als Vorstand einer Chorschule vielleicht noch am besten an seinem Platze stehen und für die Kunst wie für das anvertraute Institut am nützlichsten wirken können. Indem ich auf mein Ehrenwort erkläre, daß ich die hier aufgezählten Eigenschaften an Herrn Reissiger wahrgenommen, mich von denselben völlig überzeugt habe, empfehle ich denselben jedermann, dem er seine Dienste anbieten könnte, aufs angelegentlichste und habe zu größerer Gewißheit für alle diejenigen, welche meiner Empfehlung Glauben und Gehör schenken wollen, gegenwärtigem Zeugnisse meine Handunterschrift und mein angestammtes Wappen beigefügt. Johann Nepomuk Freiherr v. Poissl, Königl. Bayrischer Kammerherr, des hohen St. Georg Ordensritter und Kommandeur des Großherzogl. Haus- und Verdienstordens.“

Diese Zeugnisse sind so ausgezeichnet, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn Reissiger auf Grund derselben und bei dem ihm eben entgegengebrachten Wohlwollen des Leipziger Rates sich nun gleich um die Nachfolge im Thomaskantorat bewirbt[1]. „Ich kenne die ganze Wichtigkeit des Amtes eines Kantors an der Thomasschule, aber mit dem Bewußtsein redlichen und eifrigen Strebens nach dem Höheren, mit dem Vertrauen auf die mir von Gott verliehene Kraft getraue ich mir, wahrlich ohne alle Anmaßung mit den Bewerbern um diese Stelle in die Schranken zu treten.“ Außer ihm bewarben sich noch neun andere Künstler, unter anderen Theodor Weinlig aus Dresden und Karl Loewe aus Stettin, der spätere berühmte Balladenmeister.

Wenn Reissiger nicht gewählt wurde, so war seine für dieses Amt zu große Jugend (25 Jahre) der einzige Hinderungsgrund gewesen. Gewählt wurde bekanntlich Theodor Weinlig, den C. M. v. Weber, welcher seit seinem Freischütz-Erfolg zur Weltberühmtheit aufgestiegen war, empfohlen hatte.

Reissiger ging nun im Mai 1823 nach Berlin, wo er sich auf Anraten als Lehrer niederlassen wollte, bis sich einmal irgendeine bessere Gelegenheit finden würde. Zunächst hatte er das Glück, im Hause des sehr kunstsinnigen Fabrikanten Stobwasser, an den er wohl noch von Schicht empfohlen worden war, die freundlichste Aufnahme zu finden. Stobwasser war ein begeisterter Dilettant (das Wort noch im guten Sinne), ein tüchtiges Mitglied der Berliner Singakademie[2]. Die Tochter Marie wurde Reissigers Klavierschülerin[3]. Außer dieser Bekanntschaft mit der Tochter, aus welcher, wie wir noch sehen

  1. Bewerbungsschreiben im Ratsarchiv zu Leipzig vom 1. März 1823 (Stift VIII B 13d).
  2. Blumners Geschichte der Berliner Singakademie 1891 verzeichnet ihn sogar als Baßsolosänger.
  3. Wir erfahren diese Tatsache aus einem kleinen Festspiel, welches zu R.s Silberhochzeit gedichtet wurde und eine Szene: „R. mit seiner Klavierschülerin Marie Stobwasser“ enthält. (Im Besitze des Herrn Bürgermeister Reissiger.)