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Reissiger natürlich in Wien ebenfalls fortgesetzt[1]. Wir wissen, daß er mit Czerny bekannt war, und da dessen Unterricht um diese Zeit schon ein gesuchter in Wien war, so ist wohl zu vermuten, daß Reissiger ihn genossen hat. Reissiger hat in Wien ein Klavierkonzert komponiert und dasselbe auch öffentlich vorgetragen. Wir lesen in der A. M. Z. (1822 Seite 114, Kärntner-Thortheater betr.): „. . . . so erntete unlängst unser Landsmann Reissiger zwiefache Lorbeeren, zuerst als Sänger durch den kraftvollen Vortrag der herrlichen Baẞarie in H-Moll aus Händels Messias, sodann als Virtuose auf dem Pianoforte in einem ungemein solid gearbeiteten Konzerte aus Es-Dur“[2]. Wir sehen aus diesem Bericht, daß Reissiger auch wieder als Sänger aufgetreten ist. Dieses erwähnte Konzert ist aber nicht das einzige, in welchem er sang. Außer in Privatzirkeln, so im Hause des großen Kunstfreundes, des Herrn v. Hochenadel, wo Reissiger „sich als wackerer Baẞsänger bewährte[3]“, wirkte er in einem Sonderkonzert der erst 1819 von Gebauer gegründeten „Concerts Spirituels“ mit, und zwar sang er in Schneiders damals sehr bekanntem Oratorium „Das Weltgericht“ die Baẞsolopartie[4]. Wir erkennen, wie vielseitig sich Reissiger in Wien betätigte. Sein Fleiß wurde aber auch anerkannt, denn nicht nur im Hoftheater, auch in anderen Konzerten[5] wurden seine Kompositionen vorgetragen; nicht zuletzt aber dadurch, daß einige seiner Werke von Artaria und Steiner in Verlag genommen wurden[6]. So hatte sich der junge Komponist in der lebensfrohen Kaiserstadt rasch einen Namen gemacht. Sein Sinn aber strebte weiter. Ein anderes deutsches Musikzentrum hatte bereits Reissigers Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im Mai 1822 verließ er Wien, um sich noch bei einer anderen zeitgenössischen Autorität Anregungen zu holen, bei dem Hofkapellmeister Peter v. Winter in München.

Vielleicht war Reissiger von Salieri auf Winter hingewiesen worden, denn Salieri und Winter waren sehr befreundet. Letzterer selbst war einst von Salieri entscheidend beeinflußt worden[7], indem dieser ihm, dem in Mannheim-Münchener Überlieferungen Aufgewachsenen riet, besonders „all sein Studium auf eine echte Behandlung der ersten Stimme zu richten[8].“

Wenn Winter einmal Meister „des Satzes der ersten Stimme“ genannt wird, so heißt das in bezug auf Gesangskompositionen nichts anderes, als daß er den Text hervorragend gesanglich vertonte, ohne Vergewaltigung der Worte eine melodisch recht ansprechende Linie erfand[9]. In dieser Hinsicht


  1. In einem späteren Gesuche schreibt R. sogar, daß das Pianofortestudium seine Hauptabsicht in Wien war.
  2. Gemeint ist ein Konzert eigener Komposition (vgl. Schilling: Universallexicon der Tonkunst, Artikel:„Reissiger“).
  3. A. M. Z. 1822 S. 64.
  4. A. M. Z. 1822 S. 227.
  5. A. M. Z. 1822 S. 359.
  6. Auch das 1817 von Salieri gegründete Konservatorium der „Gesellschaft der Musikfreunde“ ernannte Reissiger 1822 zum Ehrenmitglied.
  7. Vgl. Frensdorf, „Peter Winter als Opernkomponist“ (Diss. Münch. 1908).
  8. A. M. Z. 1826 S. 357.
  9. Auch das themat. Verzeichnis der Kammermusikwerke Winters (D. T. B. XV, XVI „Mannheimer Kammermusik“ 1915, hg. v. H. Riemann) zeigt melodisch angenehme, dabei rhythm. frische Erfindung.