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besaß Schicht eine außerordentlich umfangreiche Bibliothek, in der alle nur erdenklichen Werke zur Musiktheorie vorhanden waren und die er seinem Lieblingsschüler wohl sehr gern zur Verfügung stellte[1]. Reissiger war nicht schwer zu gewinnen, denn die Theologie hatte er ohnehin nicht mit Leib und Seele betrieben und – wen die Musik einmal gepackt hat, den läßt sie nicht so leicht wieder aus ihren Fesseln. Dazu erhielt er noch eine aufmunternde Kritik in der A. M. Z. für einige neue geistliche Kompositionen, die der Thomanerchor gesungen hatte, und das Gewandhausorchester hatte sogar eine Ouvertüre von ihm aufgeführt, ja Matthäi überließ ihm schon zeitweilig die Orchesterführung im „Großen Konzert“. Er konnte also unter den günstigsten Aussichten die Theologie mit der Musik vertauschen. Ein Brief aus jener Zeit (8. Juli 1819), in welchem sich Reissiger um das Kantorat in Torgau bewirbt[2], gibt uns Zeugnis, wie bald er sich in der Musik vervollkommnet hatte. Wir lesen:

„Ich hätte nicht so lange gesäumt, in dieser Angelegenheit meine ergebenste Bitte vorzutragen und um die vakante Stelle des Kantorats anzusuchen, hätte mich nicht Ungewißheit über das Nähere, das man bei solchen Fällen zu wissen nötig hat, ebensosehr als die mir von meinen hiesigen Gönnern und Freunden oft vorgeworfene Bescheidenheit zurückgehalten, dieses eifrigst zu tun. Es ist von jeher mein Wunsch gewesen, und ich kann sagen, ich habe stets mit Sehnsucht den Zeitpunkt erwartet, der mir die Gelegenheit darbieten möchte, mich ganz dem Fache widmen zu können, zu dem ich mich ganz geboren zu sein glaube. Ich komponierte schon in kurzer Zeit für das Thomaschor elf größere und kleinere Motetten, nebst sehr vielen Arien, und habe auch in der Instrumentalmusik gearbeitet, indem ich mehrere Ouvertüren, deren eine vergangenen Winter im großen Konzert aufgeführt wurde und auch eine Missa[3] schrieb, und fortfahre, Kirchenstücke zu bearbeiten. Wenn nun von einem Kantor Ihrer Stadt, die sich zu den Mittelstädten zählt, verlangt wird, nächst anderen Kenntnissen nicht allein einem Sängerchore gut vorzustehen und es in Flor zu erhalten, sondern auch selbst Kirchenstücke zu komponieren und anderen in der Nähe befindlichen Kantoren mit gutem Beispiel voranzugehen und selbst mit Rat und Tat in musikalischer Hinsicht zu unterstützen, und das muß wohl verlangt werden, und ich mich diesem Amt gewachsen fühle, so wollen Sie, Wohlgeborene und Hochgelahrte Herren! es nicht für unbescheiden halten, daß ich mich nächst dieser meiner Neigung auch durch die fast gewisse Erhöhung dieser Stelle, die mich, wenn sie auch nicht so groß sein sollte, wohl zufrieden stellen würde, bestimmen ließ, es zu wagen, und Sie gehorsamst zu bitten, bei Besetzung dieser Stellung auch auf mich Rücksicht zu nehmen, und wenn beiliegende Testimonia mich nicht ganz unwürdig schildern sollten, mich Ihrer Wohlgewogenheit und Aufmerksamkeit zu empfehlen.“

Den darauf vom Rat bestimmten Termin zur Probe konnte Reissiger aber nicht einhalten, da die Mitteilung davon erst nach dem Probetag in


  1. Handschriftl. Katalog dieser Bibliothek, welche 1830 versteigert wurde (A. M. Z. 1830, S. 180) ist i. d. Musikbibl. Peters einzusehen.
  2. Vgl. Taubert, Gesch. d. Pflege d. Musik in Torgau. (Gymnasialprogramm Torgau 1868.)
  3. Messe Es-Dur, Manuskript im Archiv des Thomanerchores zu Leipzig (gewidmet dem Rate zu Leipzig).