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ein Lied „Mit geheimnisvollen Dunkeln“ für Sopran, Harfe und Horn[1]. Großen Beifall fanden auch seine Sologesänge für Baß (auch seltener gepflegt!). Er wendet da manchmal eine uns heute nicht mehr so geläufige Form an, die er „Konzertszene“ (Szene und Arie) nennt. Als eine Konzession an die Beliebtheit der Gitarre oder der Physharmonika (Vorläufer des Harmoniums) zu seiner Zeit ist es wohl anzusehen, wenn Reissiger viele Lieder von diesen Instrumenten begleiten läßt.

Was seine Textdichter anlangt, so hat er fast alle Deutschen mit der Vertonung mindestens einer ihrer Texte bedacht. Am meisten bevorzugte er moderne Dichter. Aber die bekannte Tatsache, daß vorzügliche Texte auch im Komponisten edlere Saiten zum Mitschwingen bringen, wird auch hier bei Reissiger bestätigt. Wir können sagen: hätte Reissiger seiner Muse mehr Muße gegönnt, wir hätten nur gute Lieder des zweiten Typus erhalten, und Reissiger wäre heute als Liederkomponist noch nicht in dem Maße vergessen. Die Gattung Kunstlied hätte mehr Bereicherung erfahren, denn er hätte das Zeug gehabt, wie Beispiele belegen; so aber ist Reissiger hauptsächlich ein Vertreter des leichter wiegenden volkstümlichen Liedes geworden.

Sehr glücklich war Reissiger als Komponist von Chorliedern, geistlichen und weltlichen. Das vierstimmige Chorlied, welches seit Caccinis Florentiner Monodie nie so recht mehr geblüht hatte, erlebte am Anfange des 19. Jahrhunderts einen großen Aufschwung durch die in den Befreiungskriegen wurzelnden Bestrebungen der Männergesangvereine. Da war nun Reissiger einer der geschätztesten Komponisten seiner Zeit. Er verband eine gediegene Setzweise mit frischer, melodischer Erfindung (ohne Chromatik) und manchmal sogar pikanten Harmoniewirkungen. Die vorbildliche Stimmführung, auf vollen Chorklang ausgehend, läßt den ehemaligen Schichtschüler und Thomaschorsänger erkennen. Den „frohen Liedertäflern“ sind durch Reissiger manche wertvolle, heute noch gern gesungene Sachen gespendet worden (Blücher am Rhein). Nie ist Reissiger dabei in der Form einseitig geworden. Hier wirkt er durch Teilung in Chor und Solo, dort durch mehrfachen Rhythmuswechsel usw. Mit einfachen, rein musikalischen Mitteln bringt er wirksame Effekte hervor. Die komischen Sachen sind auch in dieser Gattung besonders beliebt gewesen (z. B. Trinklieder). Steigerung des Lebensgefühles ging von ihnen aus. Das ist ein sehr hohes Lob, wie man es kaum besser spenden konnte. Verwandt ist Reissiger in dieser Hinsicht mit Marschner.

Wie die weltlichen Chöre, so waren ebenso Reissigers geistliche Chöre sehr geschätzt. Seine natürliche Veranlagung war vorwiegend heiter; um so mehr müssen wir uns wundern, daß er auch der Kirche so viele achtbare Werke geschenkt hat. Die Kirchenmusik ist überhaupt das Gebiet, in welchem die Epigonen der Klassiker ihre besten Werke schufen (Schicht, B. Klein, F. Schneider, Neukomm, Eybler). Für Reissiger war die Kirchenmusik das Feld, in welches er von Jugend an hineingestellt worden war;


  1. Noch Manuskript (Kgl. Landesbibliothek Dresden). Die Verwendung der Harfe ist besonders beachtlich, denn für dieselbe war lange Zeit nicht geschrieben worden. Im Nachlasse R.s fand sich auch die Harfe bei einem Terzett aus der Oper: „Der Ahnenschatz“, zugleich mit Orchester, verwendet. Die Zeitgenossen R.s Boieldieu und Simon Mayr (1763 – 1845) verwendeten die Harfe ebenfalls.