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nach übertrifft Reissiger mit seinem zweiten Typus die objektive, formale Kühle, die rein melodische Auffassung der Mendelssohnschen Lieder; und man sollte in einer neuen Auswahl diese Lieder unserer Hausmusik wieder einverleiben. Die Klavierbegleitungen sind nicht schwer, wenn sie auch oft vom einfachen Akkordischen zu charakterisierenden Figuren übergehen. Kleine Vor- und Nachspiele treffen manchmal die Stimmung des Textes ausgezeichnet (op. 110). Von der uns bisher vorgelegenen beschränkten Auswahl seien hier besonders die Lieder der 31. Sammlung (op. 118) (besonders der „Goldschmiedgeselle“ [Scherer], der „Lustige Vogel“ [Reinick]) und ferner das „Liebes-ABC“ genannt. Reissigers komische Veranlagung lieẞ ihm dann vor allem heitere Volkslieder vorzüglich gelingen. Abgesehen von dem frischlebendigen Akademikerlied „'s gibt kein schöner Leben, als Studentenleben[1]“, welches die Jugend heute noch wie am ersten Tage begeistert, gingen die komischen Lieder „Als Noah aus dem Kasten ging“ (1825) und „Ins Weinhaus treibt mich dies und das“, sowie auch das ernstere „Der Zigeunerbube im Norden“ (Geibel) ins heutige Kommersbuch über. Wer den burschikosen Ton treffen kann, der wäre, sollte man meinen, kein sentimentaler Philister. Und ist es nicht ergötzlich, wenn Reissiger ein kleines Liedchen von Herlossohn, „Die drei Schneider“ (op. 172, Nr. 1), dessen scherzhafter Inhalt absichtlich ganz belanglos, um nicht zu sagen gleich Null ist, in schwermütigen, kirchlichen Harmonien vertont, um dann am Schluß durch einen gegensätzlichen, neckischen Vorschlag, der beim Vortrag durch eine vorhergehende Luftpause noch herausgehoben werden kann, eine Stimmungsbrechung Heinescher Art herbeiführt. Gesundes, kraftvolles Nachempfinden atmen auch die Vertonungen der Heineschen „Grenadiere“, die heute nebst den Wagnerschen durch Schumanns Komposition verdrängt sind. Überhaupt lyrische Texte mit geringem dramatischen Einschlag lagen Reissiger günstig. Es erscheint darin alles so natürlich aus dem Text, herauszuwachsen, frei von gekünstelter Pose, dabei immer eine einheitliche größere Linie wahrend, wie bei den Klassikern. Diese Lieder sind dann auch durchkomponiert, während sonst Reissiger die strophische Form als die volkstümlichere bevorzugt. In den komischen Liedern waren seine Vorbilder: Weber und Marschner. Sonst ist von einer Beeinflussung des Liederkomponisten Reissiger, etwa durch Schubert oder auch Schumann, nicht zu sprechen. Reissiger hat Schubert, wie wir aus dem früher mitgeteilten Briefe wissen, sehr verehrt, aber seine Entwicklung als Liederkomponist war in den zwanziger Jahren abgeschlossen. Die gelungensten Kompositionen dieser Gattung schrieb Reissiger in der Jugend, während die späteren Jahre ein Verflachen kennzeichnet. (Routine, ausgeschriebene Hand.) In den zwanziger Jahren aber bahnt sich erst allmählich ein allgemeines Schubertverständnis an, während von Schumann überhaupt noch nicht die Rede ist. Bemerkenswert ist, daß Reissiger einer der ersten Komponisten von sogenannten „Kammergesängen“ ist, denn wir finden Lieder mit der selteneren Begleitung des Hornes neben dem Pianoforte (op. 117), oder z. B. das Lied „Warum so ferne“ (Wolff) für eine Sopranstimme mit Pianoforte und Cello, ferner „An ihr Veilchen“ für eine Singstimme, Pianoforte, Cello und Flöte, oder


  1. Melodie nach dem Walzer: „Webers letzter Gedanke“.