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Zeitumstände und Umgebung der Großen ein deutlicheres Licht, da wir in den Nebenmännern gerade die Bereiter des Bodens für die ersteren vor uns haben. Ihre Nichtberücksichtigung würde die Zeit einseitig widerspiegeln. Im Falle Reissiger hat sich sogar ergeben, daß das landläufige Urteil um einige Grade zu verändern ist. R. Wagner selbst spricht es am Schluß der Meistersinger durch Hans Sachs aus, was die Meister durch ihr Bewahren der Kunst und Bereiten des Bodens, auf dem sich dann ein Genie erst erheben kann, eigentlich bedeuten:

„Daß unsere Meister sie gepflegt
Grad' recht nach ihrer Art,
Nach ihrem Sinne treu gehegt,
Das hat sie echt bewahrt.
Ihr seht, wie hoch sie blieb' in Ehr',
Was wollt Ihr von den Meistern mehr?“



Kapitel 6.
Allgemeines über Reissiger als Komponist.

Wir müssen zu Anfang dieses Kapitels auf das Vorwort zurückweisen, wonach wir durch die Zeitverhältnisse gezwungen sind, uns hier nur auf einen Abriß zu beschränken. Das Schaffen Reissigers ist ja auch quantitativ und qualitativ so vielseitig, daß es eine Abhandlung für sich beansprucht.

Reissiger war eins der produktivsten Talente der Musikgeschichte. Er schrieb über zweihundert Werke, wovon ca. die Hälfte auch noch dazu bis zu sechs Einzelkompositionen enthält. Wir stehen fast vor einem Rätsel wie das bei seiner außerordentlich angestrengten Amtstätigkeit möglich war. Wie bereits früher erwähnt, ist ja nicht alles gleichwertig. Namentlich unter den zahllosen Liedern, die das eigentliche Feld seines – des Lyrikers – Schaffens gewesen sind, und die ihm die größten Erfolge eintrugen, sind große Unterschiede festzustellen. Um ein Gesamtergebnis vorwegzunehmen, welche für alle von Reissiger bebauten Kompositionsgattungen zutrifft und er hat tatsächlich jede bestehende Form mit Inhalt erfüllt, so können wir sagen, daß wir auf Schritt und Tritt die Einflüsse seiner vielseitigen Ausbildung antreffen. Die Bildung seines herzlichen, deutschen Gemütes durch den Vater und seinen Wohltäter Schicht im klassischen, soliden, deutschen Geiste Bachs und Beethovens, die Einflüsse der italienisch-deutschen Halbindividualitäten Salieri und Winter, Frankreichs Rhythmen, Italiens Melodien, auch Nachwirkungen Mozartscher Kantabilität in instrumentalen Partien ergeben einen Mischstil, der, wenn er dazu eine streng persönliche Note erhalten hätte, sehr wohl berechtigt wäre, aber bei Reissiger doch hauptsächlich Mischstil bleibt. Das schließt jedoch mehrere recht gelungene Ausnahmen keinesfalls aus. Für den Dirigenten Reissiger war die vielseitige Bildung, die ihm geboten wurde, wertvoll, für den Komponisten jedoch nicht unschädlich.