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Stellung innerhalb der Zünfte geschaffen hatten. Wichen Städte oder nur einzelne Meister vom herrschenden Brauch ab, so mieden die wandernden Gesellen, von denen eine förmliche Kontrolle über Einhaltung der Handwerksgewohnheit geübt wurde, die Stadt oder den Meister, ja die arbeitenden „standen auf“ und verließen, wenn es nicht anders ging, den Ort, und zwar weil sie selbst dadurch die Einhaltung der Handwerksgewohnheit erzwingen wollten, aber auch, weil Gesellen und Lehrjungen, also auch die eigenen Söhne der Meister solcher Städte, anderwärts nicht „gefördert“ wurden oder sich wenigstens einer Strafe unterwerfen mußten. Durch dieses „Aufstehen“ und „Auftreiben“, dem modernen Streik und Boykott ähnlich wie ein Ei dem andern, wurde die Handwerksgewohnheit zu einer gewaltigen und gefürchteten, zugleich auch verhängnisvollen Macht, die indes doch insofern noch eine gute Wirkung erzielen konnte, als sie sich auch auf das sittliche Gebiet erstreckte. Es liegt auf der Hand, daß die Landesherren mit dem Erstarken ihrer Macht im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts gegen diese Herrschaft der Handwerksgewohnheit, die ihre eigene Herrschaft beschränkte, die sie übrigens als ein Verhängnis erkennen mußten, ankämpften. Ein Erfolg wurde indes nur ganz allmählich und erst spät erreicht: der Sieg war nicht leicht, besonders wegen der Gesellen, die, soweit sie sich nicht in einer Stadt des Landesherren niederlassen wollten, einfach zum Wanderstab griffen. Allzuscharfes Vorgehen einzelner Fürsten brachte oft nur den Meistern Nachteil, und ein gemeinsames Vorgehen der Fürsten, zuweilen angeregt und versucht, konnte bei den politischen Wirren und der Spaltung Deutschlands seit dem 17. Jahrhundert keinen wesentlichen Erfolg haben.

Diese vollständige Erstarrung des Zunftwesens, die sowohl die technische und wirtschaftliche Seite des Handwerks, wie die Lebensformen der Handwerker ergriff, ließ sich durch Gesetze und Verordnungen nicht mehr beseitigen. Die Zünfte glichen einem alten, morsch gewordenen Baum, der wohl seine einstige Herrlichkeit noch erkennen läßt, aber unfähig geworden ist, Blüten und Früchte zu treiben. Der gewaltige Aufschwung, der in unserem Jahrhundert auf allen Gebieten des Lebens eintrat, der Drang nach Freiheit, der sich überall regte, warf den altersschwachen Bau der Zünfte nieder. Leicht ist es freilich, an Stelle des gestürzten Baumes eine