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mitgenommen, das ist dumm. So greift er dann die Angelrute entlang bis zur Spitze und zieht mit der Rechten Schnur und Vorfach heran, und dann, in demselben Augenblick, wo der Kopf der Forelle schon fast die Luft berührt, ein Schwung, und sie schnellt sich, vom Haken frei, in dem blühenden Wundklee herum.

     Da lachte er aber doch über das ganze Gesicht. eine zweipfündige, dieselbe die gestern seinem Freunde das ganze Vorfach fortnahm. Und dann sagte er lachend: „Ich habe schrecklich viel Angst gehabt.“ Und dann faßt er die wütend zappelnde Forelle mit schnellem Griff über den drei Finger breiten Nacken hinter die Kiemen, sieht frohen Auges an den dunkelrot getupften Seiten entlang und tut sie in den Eimer, in dem sie einen Höllenspektakel vollführt. Nun kommen auch die beiden anderen Enländer an. Sie haben sieben Äschen gefangen, aber sie gäben sie gern hin für die eine Forelle. Das sieht man ihren Augen an. Weiter unten im Flusse ist eine Stelle, da ist mein Lieblingsplatz. An der rechten Seite ist das Ufer hoch und mit Ellerbüschen bestockt, links greift der Fels in das Bett ein, zerrissen und zerborsten und engt den Strom so ein, daß er eine niedliche kleine Stromschnelle bildet. Rundherum sind Altwässer, in denen sich die junge Brut der Äschen und Forellen tummelt und bei unserem Herannahen unter den braungelben Algendecken versteckt, und zwischen den Felsen sind flache Mulden, in denen die dickköpfigen Groppen faul auf den kaum it Wasser bedeckten Steinen liegen. Der Eisvogel, der hier gern fischt, stiebt Mit ärgerlichem Ruf ab, wie wir kommen und die Groppen verschwinden vor unseren Tritten, mit den Schwänzen das Wasser trübend, in den Steinritzen, in den Felsen, sind große, stille Tiefen. Vier Forellen holte ich gestern da heraus, aber die fünfte, die beste, nicht. Der eine Augenblick, in dem ich, auf schlüpfrigem Fels stehend, vergaß, die Schnur straff zu halten, genügte ihr, sich frei zu machen, und sie biß nicht wieder. Aber der alte Forellenangler wird sie schon kriegen, und ich, der junge, lerne dabei.

     Der Engländer sieht sich die Sache an. Links der Wildrosenbusch, rechts die Ellern und Weiden, oberhalb der tiefe Strudel, das ist dumm. Da muß alles im Handgelenk liegen. Dicht über das Wasser fliegt die Fliege, jetzt tanzt sie wie eine Eintagsfliege, die ihre Eier ablegen will, über den Strudel, jetzt zittert sie auf dem Kolk, jetzt schlüpft sie über die nassen algenbesponnenen Steine. Noch einmal! Auch nichts. Und wieder einmal! Wieder nichts. Und dann klatscht, plumps, das Geratter der Rolle, das Zittern der Angel, und die Forelle ist zu Land gebracht. Aber nichts besonderes. Also wieder weiter. Nichts. Und wieder weiter. Klatsch, plumps. Das war eine Äsche. Die hatte nur angefaßt und hielt das Anrucken nicht aus. Also noch einmal, noch einmal, und noch einmal.

     Hopla, das ist etwas besseres. Rrr geht die Rolle, hierhin, dahin geht die Rute, mit Luchsaugen paßt der Engländer auf, daß die Schnur straff bleibt, immer die rechte Hand an der Kurbel, Schnur nehmend, Schnur gebend, dem Fisch scheinbar den Willen lassend, bis er ganz matt ist, und sich soweit ziehen läßt, daß ein Schwung ihn auf das Geschotter des Ufers wirft.




Die Lisetante.


     Das Kirchenbuch des Bergstädtchens ist eine treulich geführte Chronik. Jedes Bergkindes Namen steht darin und alle die Tage, die ihm als Christenmenschen Meilensteine waren im sonnigen oder sonnenlosen Lauf seines Lebens, – bis zu dem letzten, darauf ein schwarzes Kreuz gemalt ist.

     Für den wißbegierigen freilich wären solche Auskünfte ein wenig mager geblieben. Denn von der Mamsell Brinkmann zum Beispiel wußte das Kirchenbuch wohl zu berichten, an welchem Tage sie geboren, getauft und konfirmiert war, wann sie Hochzeit hatte und wann sie starb. Was für ein Kleid aber die Mamsell Brinkmann an ihrem Hochzeitstage trug, wieviel Marienthaler Mitgift sie in die Ehe brachte und wieviel Glück Kuhvieh ihr Vater dazumal im Stall hatte: solche weltbürgerlichen Wichtigkeiten hätte die kirchliche Chronik als für das Seelenheil unwesentlich gehalten. Es wäre auch kein Raum gewesen in der engen Spanne zwischen Stern und Kreuz. Wer über diese Dinge Bescheid haben wollte, der mußte schon zur Lisetante gehen.

     Die Lisetante wußte alles.

     Ihr Gedächtnis konnte sich bis dritthalb Menschenalter zurückkrafpeln. Ihre ersten und fernsten Erinnerungen waren das Lächeln der Kinderzeit, da die Mädels Fichtenwurzeln in ihre Röcke spannten und die beiderwandene Armseligkeit zur Königlichkeit jener für Holzhauer- und Bergmannskinder so unerreichbar vornehmen Reifröcke umzauberten, wie sie die Frau Bergrätin und die Frau Rentmeisterin trugen und mit denen die Töchter vom Reitenden Förster spazieren gingen. Seit dieser Zeit gab es kein Geschehnis im Bergstädtchen, das nicht sonnenklar und sauber in das Gedächtnis der Lisetante hineingeschmolzen worden wäre. Und ebenso hätte in dem engmaschigen Beziehungs- und Verwandtschaftsgewebe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Schaltjahr 1932. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1932, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1932.pdf/32&oldid=- (Version vom 3.10.2019)