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wie durch deine Seele ein heiliges Ahnen geht. Verhalte deinen Atem, daß du die Ruhe nicht störst ... Laß deine Schneeschuhe langsam gleiten, daß ihr Knirschen nicht die Stille zerreißt ...

     Fühlst du das Pochen des Blutes in der Brust?

     Bleibe stehen und lausche voll Andacht. Und so du ein Gottsucher bist, wird dir der Wald eine stumme Predigt halten. Von unsichtbaren Altären wird sich eindringlich in dein Herz hineinsprechen. Harre aus bis zum feierlichen Amen. Dann wirst du als froher Mensch beglückt und innerlich reich von dannen ziehen.

     Und fährst mit stillem Lächeln hinauf und hinaus aus dem Wald aufs freie Moor. Da grüßen dich von nahe her alle die Ehrwürdigen des Hochharzes; dort in ruhigen Linken der Brocken, da das scharfe Profil des Achtermanns, da der Wurmberg, der Sonnenberg. Und wenn ein klarer Winterhimmel über der Welt liegt, Ichaust du weit über Kuppen und Hänge des Südwestharzes hinweg ins flache Land hinein. Und ganz dicht vor dir grüßen Torfhaus und Oderbrück und das Sonnenberger Weghaus aus weißen Wiesen herauf. Blicke dich gemach um in der Runde. Wie schön ist der Harz!

     Und hast du genug in die Weite geschaut, zieht dich der Alte wieder in einen Bann, über dessen Rücken du dahinfährst. Sieh, wie der ewige Wind, der aus allen Ecken und Enden ungehindert über das Moor pfeifen kann, alle die verstreuten Bäume und Bäumchen zu Boden gedrückt hat. Was für sonderbare Gestalten hat der Zauberer Winter aus ihnen gemacht! Da hocken buckelige Kobolde, schnarchen ungeschlachte Riesen, kauern schlafende Heren, schlummern vermummelte Prinzen und Prinzessinnen, schnauben feuersprühende Drachen, springen greuliche Saurier, – Gott sei Dank, daß sie starr wurden, just als sie zum gefährlichen Sprung ausholten!

     Ein wunderliches Märchenland! Und wenn du lange hineinschaust in diese spukhafte Gespensterwelt, nimmt dich die Märchenphantasie auf die Flügel. Ein Märchenbuch schlägt sich vor dir auf, und es grüßen dich, zu Eis und Schnee erstarrt, alle die lieben Gestalten von einstmals; es fehlt keiner vom Däumling und Däumelinchen bis zum menschenfressenden Riesen. Aber alles schläft wie Dornröschen ...

     Und wenn du lächelnd wieder ein Kind geworden bist und noch ein lebendiges Stücklein vom frohen Kinderherzen in dir fühlst und zu einer glücklichen Stunde hier oben weilst, dann wird dir auch die Bruchbergkönigin erscheinen . . . . Siehst du, jetzt kommt sie auf einem weißen Hirsch aus dem Walde hergeritten. Über ihren Schultern hängt ein Hermelinmantel und in ihren Blondlocken strahlt ein silbernes Krönlein. Sie reitet schweigend über das Moor. Die Bäume neigen sich vor ihr. Sie nickt ihnen einen milden Gruß zu, und in ihren blanken Blaugugen spiegelt sich die weiße Welt.

     Nun ist sie vorbei. Du stehst noch da und starrst und hältst den Atem an, möchtest vor ihrer Schönheit in die Knie sinken, ihr die Hände küssen oder gar – ach ja, den Mund, und denkst an den Edelknaben und Schön-Rohtraut oder an Tom, den Reimer ... Aber sie ist längst vorbei und heim nach ihrem Schloß Wolfswarte. Und wenn du ihr folgst, wirst du ihre Spur nicht finden und vergeblich die Pforte des verfallenen Schlosses suchen. Und in dir wird eine heimliche Sehnsucht brennen bleiben. Sie hat dich verzaubert. Ewig wirds dich zurückziehen, sie noch einmal zu schauen und die Schönheit ihres Reiches, des winterlichen Bruchberges.

     Glaubs einem, der ihr rettungslos verfallen ist!




Oberharzer Frühling.
Von Bernhard Flemes-Hameln.


     Als der Moormann zum ersten Male aus dem Winterschlaf erwachte und an der dunklen Eisdecke umherfingerte, fand er ein kleines Loch, blinzelte hinaus und zog sich schnell wieder zurück, denn auf dem Schiwege, der am Moor entlang führte, sausten noch immer Menschen mit Stöcken in der Hand und langen Brettern an den Füßen. Es war noch Winter.

     Einige Wochen später hörte er den Tauwind im Moore patschen. Die Eisdecke auf seinem Pfuhl wurde so dünn, daß er sie durchstoßen konnte. Da sah er, daß die Fichten ihre Schneepanzer abgeschnallt und unter sich liegen hatten. Aber des Nachts fror der Pfuhl wieder zu. Der Moormann döste wieder in einem halben Schlummer, daraus ihn eines Tages erregtes Autogehub störte. Es wurde ein mächtiger Lärm hinter den Tannen, die Luft dröhnte, und ein ekelhafter Benzingestank strich bis ans Moor.

     Hm! dachte der Moormann, es ist im Schnee stecken geblieben. Aber die vom Torfhaus werden es losschaufeln, und es wird weiterkommen. Es ist ein Frühlingszeichen. Aber sonst – er hob den triefenden Schädel aus dem Wasser – alles tot. Die Moorweidenfäßchen waren noch hart und braun