Seite:Harz-Berg-Kalender 1920 041.png

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.


und Ruchkraut, das gut ist gegen den Kirchenschlaf und heilsam für allerlei Schmerzen. Eines jener Dörfer zeichnet sich durch einen Dorfanger mit besonders schönen, uralten Linden aus, in deren Schatten, jenseits des Flüßchens, das Pfarrhaus liegt. 300 Jahre ist das Haus alt. Es ist ein seltsames Haus, mit einem weitübergreifenden Dach, mit vielen kleinen, unregelmäßig verteilten Fenstern. Es stammt aus einer genügsamen Zeit, die dennoch mit dem Raum Verschwendung trieb. Um die Fenster im Erdgeschoß schlingt eine Kletterrose ihre feinen Zweige. Die Tür in der Mauer stand meist weit auf, wie alle Türen damals dort zu Lande. An einem Spätsommertag stand ich in der offenen Pforte und sah dem Spiel der Kinder jenseits der Brücke zu, als ein älterer Mann auf dem Wege von der Feldflur daherkam. Langsam, als ob ihn die Last drücke, die er in einen Quersack auf der Schulter trug. Er blieb stehen, auch ihn schien die Levkojenpracht anzulocken, und sah über die niedere Mauer. Sein schmales, ungewöhnlich bleiches Gesicht und seine stahlfarbenen, blauen Augen fielen mir auf. Seine gerade, große Nase hatte leicht bewegliche Flügel. Als er jetzt ein wenig lächelte, – halb spöttisch, halb erfreut, bemerkte ich ein festes Gebiß und seine schmalen, qut geformten Lippen. Er hatte eine alte Schirmmütze weit aus dem Gesicht geschoben, dichtes, weißes Haar lag auf seiner Stirn. Ich weiß nicht weshalb ich dachte, der Mann müsse durstig sein, Jung und unbedacht, wie ich war, erwiderte ich sein „Guten Abend auch“ mit der Bitte: „Hier, nehmen Sie diesen Groschen zu einem Glase Bier.“

     Der Alte sah mich mit blißenden Augen an: „Hatte ich die Frau um etwas gebeten?“

     „Sie sahen so blaß aus und ich dachte“ –

     „Sind Sie dem Pfarrer seine Frau? Ich will Ihnen einen Rat geben: teilen Sie ungebeten keine Almosen aus, und wenn Sie einer um einen Almosen anspricht, so beten Sie das Vaterunser vorwärts und rückwärts, ehe Sie ihm etwas geben – und denken Sie nicht über Leute nach, die Ihnen ganz fremd sind.“

     Jetzt erst bemerkte ich den struppigen Köter der neben dem Alten herging und seine Worte mit Knurren begleitete. „Still Strupp,“ sagte er. „Die Frau ist nicht böse, nur unbedacht, weil sie jung ist.“ Ich stand verlegen da und schaute den beiden nach, wie sie langsam über die Brücke gingen. Die Kinder liefen auf den Alten zu. Er holte aus seinen Taschen Zettel und Tüten und kleine Päckchen, die er unter sie verteilte. „Wer ist das?“ fragte ich meine Nachbarin, die vorbeikam. „Der Kräuterschorsch! Daß ich ihn nicht versäume, mein Balsam ist alle.“ Sie hatte keine Zeit, meine Frage ausführlicher zu beantworten, sie eilte über den Weg, dem Alten nach. Auch mein Mann, den ich um Auskunft bat, kannte ihn nicht.

     Aber dann sind wir bekannt miteinander geworden. Durch fünf Jahre kehrte er Sommer und Winter bei uns ein. Er saß auf der Bank vor der Haustür und erzählte seine sonderbare Geschichte. Im Winter traf ihn mein Mann zuweilen in einem Gasthof an. Manch liebes Mal fanden wir ihn schlafend auf einer Steinbank am Wege liegen. Unter dem Kopfe seinen Quersack, zugedeckt mit einer Pferdedecke. Oder wir merkten seine Anwesenheit in einer der Unterführungen der Landstraße, weil Strupp knurrend Wache hielt – wenn wir spät abends von einem Besuch in der Nachbarschaft heimkamen.

     Kräuterschorsche heilte Menschen und Tiere und wußte Rat für manche Händel, die sich keiner zu schlichten traute. Es dauerte lange, bis wir sein Vertrauen gewonnen hatten. Allerhand sonderbare Gerüchte waren über ihn im Umlauf. In Wahrheit hatte er nirgends Heimatsberechtigung – er war frei wie der Vogel in der Luft – und niemand untertan. Niemand lud ihn zum Bleiben ein, jedermann verlangte trokdem Rat und Hilfe von ihm und war ihm Dank oder Geld schuldig, die er nie einkassierte. Im Sommer nächtigte er im Freien, bei schlechtem Wetter in einem verlassenen Bergwerke, deren er eine ganze Anzahl kannte, von denen er Wunderdinge zu erzählen wußte. Im Winter kroch er in einem Stall oder in einer Ziegelei unter, die er gleichzeitig benutzte, um – seine Goldfunde zusammenzuschmelzen. Kräuterschorsche wußte Gold zu finden und er behauptete, es gäbe mehr davon in den Bächen und im Gestein, als mancher ahnte. Er hat uns einmal einen Klumpen gezeigt – und gleich darauf in heller Verzweiflung erzählt, daß er den Schatz nicht viedergefunden habe an der Stelle, wo er ihn eingrub. Er kannte auch den Dieb, – so behauptete er: In seinem Quersack schleppte er stets ein altes Rezeptbuch und einen Band irgend eines gelehrten Werkes mit. Er prahlte gern mit seiner Bibliothek – die er irgendwo in einer Höhle bewahrte. Daneben trug er getrocknete Kräuter, Balsamflaschen, Salben und Säfte, – gut für Gebreste Leibes und der Seele.

     An einem kühlen Herbstabend erzählte er uns seine Geschichte. Zuvor hatte er behauptet, er habe soviel Geld zusammengebracht, daß er sich leicht ein Haus bauen könne – aber er hasse es, in einem Haus zu leben. Als mein Mann ihm zuredete, doch endlich an ein Obdach für sein Alter zu denken, – ihm anbot, Schritte zu tun, daß er irgendwo Heimat- und Armenrecht bekäme, fing er an zu lachen. „Ich brauche nur an den Großherzog