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Aus Heinrich Heine’s „Harzreise“.


     Wie Goethe in seiner berühmten, „Harzreise im Winter“, so hat auch Heinrich Heine während einer Wanderung durch den Harz. die ihn 1826 von Göttingen über Northeim nach Osterode, Clausthal, Zellerfeld, Goslar, dem Brocken, dem Ilse-, Bode- und Selketal führte lebhafte und tiefgehende dichterische Eindrücke gewonnen, welche er in seinem Büchlein „Die Harzreise“ festlegte. In dem Dichterherzen Heinrich Heines steckt ein Engel und ein Teufel. Diese Zwiespältigkeit findet in allen seinen Dichtungen Ausdruck. Seine „Harzreise“ zeigt eine geradezu wunderbare, hochpoetische Vertiefung in die Natur Daneben aber kommt doch oft auch der spottlustige Schalk, der Zyniker und Satiriker zum Wort. Das darf beim Lesen des Büchleins nicht stören. Eines ist gewiß: Heines „Harzreise“ lehrt, wie man wandern und reisen soll: mit offenen Augen, mit offenem, empfänglichen und empfindendem Herzen für Natur und Menschen. – Die „Harzreise“ ist für 20 Pfg. als Reclam-Heft in jedem Buchhändlerladen zu haben. Wir geben aus dem Büchlein einige bezeichnende Stellen hier wieder.


     Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut, ist ...

     Hinter Northeim wird es schon gebirgig, und hier und da treten schöne Anhöhen hervor. Auf dem Wege traf ich meistens Krämer, die nach der Braunschweiger Messe zogen, auch einen Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, fast häuserhohes, mit weißem Leinen überzogenes Behältnis auf dem Rücken trug. Darin saßen allerlei eingefangene Singvögel, die beständig piepsten und zwitscherten, während ihre Trägerinnen lustig dahinhüpften und schwatzten. Mir kam es gar närrisch vor, wie so ein Vogel den andern zu Markte trägt..

     Der Weg nach – von Osterode – Clausthal führte mich wieder bergauf, und von einer der ersten Höhen schaute ich nochmals hinab in das Tal, wo Osterode mit seinen roten Dächern aus den grünen Tannenwäldern hervorguckt wie eine Moosrose ...

     Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwälder wogten unten wie ein grünes Meer, und am blauen Himmel oben schifften die Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichsam gezähmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur seine schroffen Übergänge... Eben wie ein großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigsten Mitteln die größten Effekte hervorzubringen. Da sind nur eine Sonne, Bäume, Blumen, Wasser und Liebe. Freilich, fehlt letztere im Herzen des Beschauers, so mag das Ganze wohl einen schlechten Anblick gewähren, und die Sonne hat dann bloß so und so viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfäden klassifiziert, und das Wasser ist naß . . .

     In der „Krone“ zu Clausthal hielt ich Mittag. Ich bekam frühlingsgrüne Petersiliensuppe, veilchenblauen Kohl, einen Kalbsbraten, groß wie ein Chimborasso in Miniatur ...

     In den Silberhütten habe ich, wie oft im Leben, den Silberblick verfehlt. In der Münze traf ich es schon besser, und konnte zusehen, wie das Geld gemacht wird. Freilich, weiter habe ich es auch nie bringen können. Ich hatte bei solchen Gelegenheiten immer das Zusehen . . .

     In der Tiefe – der Grube Dorothea – zeigten sich wandelnde Schimmer; Bergleute mit ihren Grubenlichtern kamen allmählich in die Höhe mit dem Gruße „Glück auf!“ . . . und wie eine befreundet ruhige und doch zugleich quälend rätselhafte Erinnerung trafen mich mit ihren tiefsinnig klaren Blicken die ernstfrommen, etwas blassen und vom Grubenlicht geheimnisvoll beleuchteten Gesichter dieser jungen und alten Männer, die in ihren dunkeln, einsamen Bergschächten den ganzen Tag gearbeitet hatten und sich jetzt hinaufsehnten nach dem lieben Tageslicht und nach den Augen von Weib und Kind . . . Ich besuchte mehrere dieser wackeren Leute, betrachtete ihre kleine häusliche Einrichtung, hörte einige ihrer Lieder, die sie mit der Zither, ihrem Lieblingsinstrument, gar hübsch begleiten, ließ mir alte Bergmärchen von ihnen erzählen und auch die Gebete hersagen, die sie in Gemeinschaft zu halten pflegen, ehe sie in den dunkeln Schacht hinuntersteigen, und manches gute Gebet habe ich mitgebetet . . .

     Ich schlenderte wieder bergauf, bergab, (– auf dem Wege nach Goslar! –) schaute hinunter in manches hübsche Wiesental; silberne Wasser brausten, süße Waldvögel zwitscherten, die Herdenglöckchen läuteten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der lieben Sonne goldig angestrahlt, und oben war die blauseidene Decke des Himmels so durchsichtig, daß man tief hineinschauen konnte bis ins Allerheiligste, wo die Engel zu den Füßen Gottes sitzen und in den Zügen seines Antlitzes den Generalbaß studieren ...