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Chronik 1918.

     Wir sind besiegt! Wir haben die Revolution! Diese beiden Tatsachen sind nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Deutschland in einer alten Form besteht nicht mehr. Über Nacht ist beides über uns gekommen, und wir haben uns damit abzufinden und uns ganz neu einzurichten. Aber wie ist das alles so plötzlich gekommen, danach muß man fragen, sonst verliert man jeglichen Halt und geht ganz blind in die Zukunft.

     Müßig ist die Frage nach einem Sündenbock, denn Niemand hat in Deutschland sein Volk ins Verderben stürzen wollen. Die Dinge liegen überhaupt nicht so, daß einzelne Menschen dabei ins Auge zu fassen sind, vielmehr handelt es sich um Verhältnisse, die weit über Einzelmenschen hinausgehen.

     Als Deutschland 1914 in den Krieg trat, war der ganze Reichstag geschlossen der Ansicht, daß uns der Krieg aufgezwungen war. Auch die Sozialdemokraten gaben zu, daß die Regierung alles getan habe, um den Frieden zu erhalten. Der Krieg wuchs dann ins Unermeßliche. Das deutsche Volk hat fast Übermenschliches geleistet, hat jedenfalls weit mehr geleistet als irgendein anderes. Seine Friedensbereitschaft hat es wiederholt zum Ausdruck gebracht, aber die Feinde haben uns nicht getraut. Das Friedensangebot unseres Kaisers vom 12. Dezember 1916 ist mit Hohn und Spott beantworiet. Nicht besser erging es der Friedensresolution des Reichstages vom 19. Juli 1917. Die bei uns weitverbreitete Ansicht, wir häiten 1916 den Frieden haben können, hat das starke Bedenken gegen sich, daß die Feinde stets ihren Vernichtungswillen uns gegenüber zum Ausdruck gebracht haben. Sollte an jenem Gerücht etwas wahr sein, so wird es ja die neue Regierung bald klar legen. Einen Frieden, wie wir ihn jetzt bekommen sollen, hätten wir allerdings schon immer haben können, aber uns ist kein Rechtsfrieden zugedacht, wie noch manche bei uns hoffen, sondern ein Gewaltfrieden, bei dem wir die Schwerleidtragenden sein sollen. Es gibt nur die eine Aussicht auf einen leidlichen Frieden für uns, daß euch in den feindlichen Ländern Lloyd George, Clemenceau usw. durch eine Revolution hinweggespült werden. Nur dann wird Deutschland als gleichwertiges Glied in den Völkerbund aufgenommen, sonst werden wir nach jeder Richtung hin gedemütigt und auf jeglichem Gebieten eingeschnürt und eingeengt, daran wird keine neue Regierung bei und etwas ändern können.

     Besiegt sind wir. Binnen wenigen Monaten ist das Kriegsglück völlig umgeschlagen. Nach der Katastrophe, die im Herbst 1917 über Italien herüberbrach und nach der völigen Auflösung des russischen Heeres konnten wir fast alle Truppen an die Westfront bringen und hoffen, auch dort in absehbarer Zeit Sieger zu sein. Wuchtige Offensivstöße hat Hindenburg auch im Frühjahr und im Somner 1918 ausgeführt. Ein Gebiet von der Größe des bisherigen Großherzogstums Oldenburg wurde erobert. Wir stießen im Westen bis Monididier und im Süden bis an die Marne vor. Unermeßliche Beute wurde eingebracht. Am 15. Juli begannen wir eine neue Offensive bei Reims, aber 3 Tage später begann der Umschlag, die Offensive war mißglückt, wir gaben das neueroberte Gebiet auf, wir bezogen unsere alten Stellungen, aber wir hielten auch da nicht mehr stand, montatelang meldete dann der Heeresbericht ein ständiges Zurückweichen, wir hofften anfangs noch, daß der Rückzug nur strategischer Art sei, aber diese Hoffnung schwand immer mehr dahin, der Rützng wurde zu gewaltig und Ende September brach die Katastrophe herein. Bulgariens Front gegenüber der Salonikiarmee brach zusammen, deutsche und österreichische Truppen sollten die Lücke wieder zustopfen, aber es war zu spät. Bulgarien kapitulierte. Und damit klappte der Völkerbund elendiglich zusammen. Die Türkei, nun völlig von uns abgeschlossen, lag ebenfalls am Boden, da löste sich auch Österreich-Ungarn auf, und so stand Deutschland ganz allein. Der Krieg war für uns verloren, die Erkenntnis war bitter, aber aus der Welt zu schaffen war sie nicht mehr.

     Wie ist das alles gekommen? Nur ganz allmählich bekommt man einen Einblick in die Ursachen des Zusammenbruchs. Der uneingeschränkte U-Booskrieg hat nicht das erreicht, was man sich von ihm versprechen mußte. England, Frankreich und Italien sind zwar durch ihn empfindlich geschädigt worden, er hat auch ihre Kriegsoperationen unmittelbar beeinträchtigt, aber er hat das Eingreifen des neu entstandenen amerikanischen Millionenheeres nicht zu verhindern vermocht. Und binnen Jahresfrist konnte sich Amerika eine Artillerie schwersten Kalibers und in großen Massen zulegen, gegen die wir nichts Gleichartiges mehr aufbringen konnten. Im Gegenteil, unsere Munition wurde minderwertiger, wie man hörte, aus Mangel an irgendwelchen Rohstoffen, jedenfalls konnten wir gegenüber der Technik und den Hilfsmitteln aller Welt nicht mehr mit. Die feindlichen Tanks erschienen in immer größeren Massen, wir lernten sie wohl im einzelnen besiegen, aber den Riesenmassen mußten wir weichen. Es half auch nichts, daß wir Tanks bauten, die noch technische Vorzüge vor den feindlichen hatten, wir konnten sie nicht in Massen herstellen. Unsere Flieger schossen die feindlichen Flugzeuge in Menge hernieder, aber sie wurden trotzdem immer zahlreicher. Auch die Menschen an der feindlichen Front wurden von Woche zu Woche zahlreicher, während bei uns der Ersatz doch immer spärlicher wurde. So sind wir der Übermacht erlegen. Wir haben nach einem gewaltigen Ringen von mehr als vier blutigen Jahren und noch größten Siegen schließlich die Waffen strecken müssen. Viele Deutsche empfinden dies als eine furchtbare Schmach, und wir können ihre Gefühle versteven, aber was uns hoch hält, ist das Bewußtsein, daß das deutsche Heer so Tüchtiges geleitet hat, wie keinem jemals früher in der Geschichte zugemutet war. Und für die Feinde ist unsere schließliche Bezwingung Wahrlich kein Meisterstück. Keiner von ihnen hat and nur annähernd das geleitet, was wir haben vollbringen müssen. Unser Heer trug 1914 den Krieg mit mächtigem Ungestüm in Feindesland und hat ihn im Westen mehr als vier Jahre dort geführt und die stark bedrohte Heimat bis auf kleine Ausnahmen vor den eigentlichen Kriegsgreulen geschützt. 1915, 1916 und 1917 mußte die Westfront den Feind abhalten, alle sonst verwendbaren Truppen mußten mit den Österreichern und auch den Bulgaren und Türken im Osten kämpfen und die Riesenheere der Russen aus der Heimat verdrängen, sie in Schach halten und schließlich sich zermürben lassen. Und überall müssen die Deutschen eingesetzt werden. Bei all unseren Verbündeten mußten deutsche Truppen eingeschoben werden, sonst klappie es bei jenen nicht. Auch gegen Italien kämpften die Deutschen hervorragend mit. Zur See hatten wir ebenfalls den Löwenanteil zu leisten. In strammstem Dienst haben unsere Matrosen die feindliche Übermacht zur See von unserer Küste ferngehalten. In ständigem Ringen mit Tod und anderen Gefahren vollbrachten unsere U-Boote das Riesenwert der Vernichtung von ungezählten Schiffen als Entgelt für die Hungerblockade. Auch die Heimatfront hat von Jahr zu Jahr schwerer zu leiden gehabt, die Entbehrungen, die erst langsam einsetzen, wurden in Laufe der Jahre immer härter und drückender und steigerten sich schließlich zur Not und auch zu einer Gefahr des Zusammenbruches; die Unterernährung