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hatte, und sein Sarg schon ganz verfallen war, da wurde er unversehrt wieder ausgegraben und in das Haus gebracht, in dem die Todtenbahren stehen. Da wurde er mehrmals den Leuten vor das Haus gestellt, um sie zu erschrecken, und es ward so viel Unfug mit ihm getrieben, daß man beschloß, der Sache ein Ende zu machen, und ihn an das Museum zu Göttingen zu schicken. Da steht er nun, wenn man die Museumstreppe heraufkommt, gleich am Eingange.

(Aus: „Sagenschatz der Harzlande“ von Friedrich Günther.)




Der Wundervogel.


     Ein Nachtschichter, der im Spiegelthaler Pochwerk arbeitet und eben untergeschürt hat, setzt sich an einem schönen Sommerabend vor das Pochwerk auf die Bank und verzehrt sein Abendbrot. Die Tannen riechen so angenehm, und die Vögel singen so schön, daß es eine wahre Lust ist, da so allein zu sein. Als der Nachtschichter so recht vergnügt über das alles ist und sich über die Welt freut, die der liebe Gott so schön gemacht hat, kommt ein Vogel geflogen und legt sich dem Nachtschichter gegenüber auf einen Tannenzweig; dann hüpft er näher zu dem Nachtschichter. Es ist, als wolle er sich ordentlich sehen lassen. Als aber dieser aufsteht und dem Vogel näher kommt, da fliegt das Thierchen fort und ist in den Tannen verschwunden. Am andern Abend nimmt der Nachtschichter etliche Leimruthen mit an die Arbeit, bindet dann eine starke an eine lange Stange und denkt damit den Vogel zu ergattern, wenn er wieder käme. Anfänglich läßt der Wundervogel lange auf sich warten, am Ende erscheint er; als aber der Nachtschichter ihm mit der Leimruthe nahe kommt, zieht er sich zurück und verschwindet wieder im Tannenwald. So geht’s drei Tage. Am dritten Abend Lockt der Vogel den Nachtschichter den Berg hinauf und da läßt er sich fangen. Kaum hat ihn aber der Nachtschichter in der Hand, so verwandelt sich der Vogel in eine wundersam schöne Jungfrau, die sieht ihn so freundlich, so herzinnig an und spricht: Ich sehe aus der Mühe, die Du dir meinetwegen gegeben hast, daß Du mich gern haben willst, küsse mich, so bin ich erlöst, und Du wirst glücklich. Dieser aber ist blöde und schüchtern, wagt die schöne vornehme Dame, die in grünem seidenen Kleide vor ihm steht, nicht anzurühren, noch viel weniger zu küssen und zieht sich scheu und langsam zurück. Sie seufzt und bittet und sieht ihn so flehentlich an; er ist aber so dumm und erfüllt ihren Wunsch nicht. Da geht sie weinend fort und verschwindet mit einem Seufzer im Walde. Kaum ist sie verschwunden, so fängt ihn sein Betragen an zu reuen, er wendet um, sucht sie, sie ist aber nirgends zu finden. Aus Gram, daß er das hübsche Mädchen nicht erlöst hat, wird der Nachtschichter krank und in neun Tagen ist er todt. In seiner Krankheit hat er die Geschichte erzählt. Bei der Beerdigung folgten viele junge Mädchen der Leiche, und als der Sarg hinabgelassen wird, kommt ein wunderschöner Vogel aus der Luft herab und fällt mit einem herzzerreißenden Pfiff in das Grab hinein. Alle Folger haben’s gehört und gesehen. Das ist wahrscheinlich das unglückliche Mädchen gewesen und dadurch wird sie auch erlöst sein.

(Aus: Harzmärchenbuch von August Ey[1].)




Rast’ ich, so rost’ ich.


     Ein köstliches Wort – Das Bild ist vom Werkzeug des Landmanns hergenommen, von der Pflugschaar, der Hacke oder der Schaufel. Wenn diese Werkzeuge nämlich täglich fleißig gebraucht werden, so bekommen sie einen schönen, spiegelhellen Silberglanz. Aber wenn man sie wochen- und monatelang unbenützt in einer Eck stehen läßt, wenn sie „rasten“ können, dann „rosten“ sie auch und werden matt, glanzlos und voller unschöner Flecken. Wie dem Werkzeug, so geht’s auch dem, der’s gebraucht, dem Handwerksmann. Er mag einst ein tüchtiger Arbeiter gewesen sein, mit hellem Kopf und flinker Hand. Aber der Sonntag genügte ihm nicht als Rast- und Erholungstag, er nahm den „blauen Montag“ hinzu. Bald ging’s auch am Dienstag nicht mehr leicht, und zuletzt brauchte er jeden Tag seine Rastzeit, wo er „einölen“ mußte. So rastete er oft und gern und immer länger. Aber ach, wie rasch ist er auch gerostet! Mit dem hellen Kopf ist’s vorbei, seit vom Sonntag bis zum Sonnabend ein wüster Nebel drin und drum herumliegt; mit der flinken Hand ist’s auch aus, sie zittert und ist unsicher. Auch der Rücken schmerzt, wenn er sich beugen soll. So ist er verrostet, und der heruntergekommene Mensch gleicht dem früheren geschickten Arbeiter so wenig, als das rostbedeckte Eisen der glänzenden Pflugschaar.




Verschieden geartetes Theaterpublikum.


     Als im Jahre 1783 „Agnes Bernauerin, ein Trauerspiel“ in Salzburg aufgeführt wurde, faßte das Publikum einen solchen Haß gegen eine darin vorkommende Gestalt, den „Vicedom“, daß der Schauspieler, welcher diese Rolle spielte, seines Lebens nicht sicher war, und wirklich angefallen wurde. Der Director wußte dieses auszunutzen und ließ, als das Stück nicht mehr recht ziehen wollte, mit großen Buchstaben auf den Anschlagzettel drucken: „Heute wird der Vicedom über die Brücke gestürzt!“ Infolgedessen war das Haus überfüllt, und der Vicedom flog unter allgemeinen Beifallsäußerungen über die Brücke.


  1. Original: „Harzmärchen“ von Fr. Ey