Seite:Hans Bötticher Ein jeder lebts 156.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s


Müde, stöhnend, gähnend legt sich der Stadtrat im Sessel zurück. Onkel Fußball gießt zitternd Tokayer ins Glas, leert es, schluckt die tote Motte mit hinunter. „Der Teufel mag wissen, was hinter dem Goal steckt.“ Nochmals füllt er das Glas, „Prosit Alter,“ klingt es an die Flasche.

Und in die späte Stunde hinein hallt ungewürdigt ein schluchzender, gedehnter Laut, wie ihn die Zither mitunter gebiert, wie ihn die Nachtigall weint.


11

Es war ein altes Weib, das sich mit Betteln ernährte, das von Krankheit entstellt und obwohl der Sprache des Landes, in dem sie lebte, mächtig, doch eine Fremde dort war. Denn sie stammte aus Frankreich, und die Leute, die das wußten, nannten sie deshalb und ob ihrer Unsauberkeit „Madame Schmütz“.

Madame Schmütz war unredlich und schlau, und wenn sie bettelte, log sie den Leuten allerlei anschaulich vor, gab an, daß sie neun hungernde Kinder habe, daß sie die Gattin eines Husarengenerals gewesen und dann schuldlos ins Unglück geraten wäre, und anderes mehr, was die Leute zur Mildtätigkeit bewegte. Ja, es kam vor, daß die Bettelnde sich anstellte wie eine Blinde, die sie doch nicht war; und auf solche Weise erwarb sie sich das, was sie brauchte, um Brot zu kaufen,

Empfohlene Zitierweise:
Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_156.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)