Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/80

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

der öffentlichen Gewalt auf die Bildung der städtischen Bodenpreise erreicht werden könne. Unter der vielgeforderten grosszügigen Wohnungsreform versteht man ja vor allem auch eine allgemeine Wiederverbilligung der Wohnungen. Diese hält man aber nur durch Niedrighaltung der Bodenpreise für möglich. Denn von den drei Faktoren, durch welche die Höhe der Wohnungsmieten hauptsächlich bestimmt wird – Baukosten, Zinsfuss, Bodenpreis – wird nur von dem dritten behauptet, dass er in seiner jetzigen Höhe nicht auf einer ökonomischen Notwendigkeit beruhe, sondern aus künstlichen Einflüssen auf die Bodenpreisbildung entspringe, deren Wirksamkeit jedoch durch geeignete Massnahmen unschädlich gemacht werden könne. Ohne Zweifel hat nun die Wertsteigerung des städtischen Bodens bei dem Steigen der Mieten in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle gespielt, wenn daneben auch das gleichzeitige beträchtliche Wachsen der Baukosten nicht übersehen werden darf. Eine ganz andere Frage ist es indessen, ob die Steigerung des Bodenwertes als eine ungesunde, an sich eigentlich nicht notwendige Erscheinung zu betrachten ist.

Um das Unnatürliche dieser Erscheinung nachzuweisen, sind in der Literatur der Wohnungsreformbewegung schon eine ganze Reihe von Theorien aufgestellt worden. Neben der wohl am weitesten verbreiteten vulgären Auffassung, die einfach der Spekulation und ihren Machinationen die Schuld an dem beständigen Höhergehen der Bodenpreise in den Grossstädten zuschiebt, finden wir da Lehren, wie die, dass das deutsche System des Immobiliarkredits zu einer übertriebenen Steigerung der Bodenwerte führe, oder die von der angeblichen Monopolstellung der Baustellenbesitzer, insbesondere derjenigen am sog. schmalen Rand (v. Mangoldt, Oppenheimer), endlich die schon erwähnte von dem ungünstigen Einfluss des Hochbaues auf die Bodenpreise (Eberstadt, Fuchs). Auf die Widerlegung dieser Theorien, die ihren grösstenteils in politischen Tendenzen liegenden Ursprung nicht verleugnen können, d. h. zur besseren Begründung gewisser Reformvorschläge dienen sollen, haben A. Voigt, Ad. Weber und neuerdings W. Gemünd viel Scharfsinn und Mühe gewendet. Hier genügt es zu ihrer Kritik zu bemerken, dass sie sämtlich im Widerspruch zu dem Satz stehen, zu dem sowohl die Erfahrung des Lebens als auch die nationalökonomische Theorie hinführt, dass die Mieten nicht von den jeweils herrschenden Bodenpreisen abhängen, sondern dass der Bodenpreis umgekehrt durch die Mieten bestimmt wird. Demgemäss ist aber auch das Anwachsen der städtischen Bodenwerte mit der Zunahme der Bevölkerung als eine ganz natürliche, nicht durch besondere künstliche Einflüsse hervorgerufene Erscheinung zu betrachten.

Aus der heute so weit verbreiteten Auffassung der Wohnungsfrage als einer Bodenfrage ist auch zu erklären, dass unter den Mitteln, die der Reform der Wohnungsverhältnisse dienen sollen, gegenwärtig die kommunale Bodenpolitik stark im Vordergrunde der Erörterungen steht. Schon durch die Aufstellung von Bebauungsplänen, durch das Tempo, in dem sie den Strassenbau betreibt, sowie ferner durch ihre Eingemeindungs- und Verkehrspolitik treibt ja jede Gemeinde von Haus aus in gewissem Sinne Bodenpolitik, d. h. sie übt Einfluss auf die Grösse des Angebots von Bauland aus. Daneben wird aber neuerdings in steigendem, vielen Wohnungsreformern aber noch bei weitem nicht genügendem Umfange von den Gemeindeverwaltungen noch eine zweite Art der Bodenpolitik getrieben, die in der Überführung eines möglichst grossen Teils des Stadterweiterungsgebiets in den Besitz der Gemeinde besteht. In Preussen wurde den Gemeinden durch einen Ministerialerlass von 1900 eine solche Betätigung amtlich noch besonders empfohlen. Diese Art der kommunalen Bodenpolitik wird von zwei leitenden Gedanken getragen: einmal soll durch sie ein möglichst grosser Teil des Gewinns aus der Wertsteigerung, die der Boden bei der Umwandlung aus Ackerland in städtisches Bauland erfährt, der Gemeinde zugeführt werden, auf der andern Seite wird das Ziel verfolgt, eine Vermehrung des Angebots an guten und dabei billigen Baustellen bezw. Wohnungen zu bewirken.

Soweit die städtische Bodenpolitik das Ziel verfolgt, den Wertzuwachs des Baugeländes in möglichst grossem Umfange dem Stadtsäckel zufliessen zu lassen, begnügt sie sich damit, das Gelände, das sie möglichst frühzeitig, noch bevor die Bodenspekulation stärker einsetzen konnte, für die Stadt erworben hat, nachdem es baureif geworden ist, wieder zu veräussern, abgesehen von dem Teil, den die Gemeinde für ihre eigenen Verwaltungszwecke oder für die Anlage von Parks usw. braucht. Die Bodenpolitik, welche die grosse Mehrzahl der deutschen Grossstädte treibt, ist ganz überwiegend nur von dieser

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/80&oldid=- (Version vom 13.11.2021)