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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Die Entziehung der Rente ist in § 1292 vorgesehen, wenn der Empfänger einer Invaliden- oder Witwenrente infolge einer wesentlichen Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr invalide ist. Ist zu erwarten, dass ein Heilverfahren den Empfänger einer Invaliden-, Witwen- oder Witwerrente wieder erwerbsfähig macht, so kann es die Versicherungsanstalt einleiten. Entzieht sich ein Rentenempfänger ohne gesetzlichen und sonst triftigen Grund dem Heilverfahren und verhindert er dadurch die Beseitigung der Invalidität, so kann ihm die Rente auf Zeit ganz oder teilweise entzogen werden, wenn er auf diese Folge hingewiesen ist. Die Rente kann nach dem neuen Recht auch dann entzogen werden, wenn sich der Rentenempfänger ohne Grund einer Nachuntersuchung oder der Beobachtung im Krankenhause entzieht.

Als Träger der Versicherung gelten nach wie vor die Versicherungsanstalten. Sie haben einen Vorstand und einen Ausschuss. Jener hat die Eigenschaft einer öffentlichen Behörde. Seine Geschäfte führen einer oder mehrere Beamte des Gemeindeverbandes oder Bundesstaates, für den die Versicherungsanstalt errichtet ist. Es wurde in der Kommission bemängelt, dass im Vorstande der Anstalten die Beamten sehr oft das Übergewicht gegenüber den Vertretern der Arbeitgeber und Arbeiter hätten. Deshalb wünschte die Kommission, dass die Beamten einer Versicherungsanstalt im Vorstande nicht mehr als die Hälfte der Stimmen haben. Irrtümlich geleistete Beiträge gelten als für die Selbstversicherung oder Weiterversicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestanden hat. Der Versicherte kann die Beiträge binnen 10 Jahren nach der Entrichtung zurückfordern, wenn ihm nicht schon eine Rente rechtskräftig bewilligt worden ist (§ 1428). Bei Streit über die Beitragsleistung entscheidet, wenn er nicht bei der Rentenfestsetzung hervortritt, das Versicherungsamt und auf Beschwerde endgültig das Oberversicherungsamt, und diese Behörden sind an die grundsätzlichen Entscheidungen des R.V.A. gebunden.

Alles in allem genommen: Ausser der Zusatzversicherung findet sich nicht gerade viel Eigenes, Ursprüngliches; grosse Wirkungen werden von den sonstigen Neuerungen dieses vierten Buches der R.V.O. nicht zu erwarten sein.

V. Die Hinterbliebenenversicherung.

Für diesen neuen Zweig der Sozialversicherung will die R.V.O. die Mittel durch Versicherte und deren Arbeitgeber zu gleichen Teilen aufbringen. Für die Lohnklassen I–V sind Erhöhungen von von 2, 4, 8, 10 und 12 Pfennigen gegenüber dem bisherigen Rechtszustande eingetreten (§ 1392). Die Beitragserstattung für weibliche Versicherte im Falle der Verheiratung und für Unfallrente sowie im Todesfall von Rentenantragsstellern vor der Rentenbewilligung sollen in Fortfall kommen und für die Zwecke der Hinterbliebenenversicherung verwendet werden. Für solche Beitragerstattungen wurden im Jahre 1907 aufgewendet 8 854 463 Mark. Die Hinterbliebenenversicherung ist mit der Invalidenversicherung derartig einheitlich verbunden, dass das gleiche Versicherungsverhältnis den Anspruch auf beide Versicherungen begründet. Für den einheitlichen Beitrag auf einheitlicher Quittungskarte wird neben dem Anspruche auf Invalidenrente auch für die Hinterbliebenen der Anspruch auf Witwen- und Waisenrente erworben. Eine der Grundfragen der neuen Hinterbliebenenversicherung war die, welche Art von Witwen berücksichtigt werden sollen. Es ist bei der Verschiedenheit des Alters der Erwerbsverhältnisse, der Gesundheit, der wirtschaftlichen Lage, der Familienzugehörigkeit usw. der Witwen überhaupt schlechterdings nicht möglich, alle gleich zu behandeln und auch nicht angemessen, wie ja z. B. eine Rente für eine junge, kräftige Witwe keinen Grund hätte. Auch die finanzielle Basis für die Versicherung aller Witwen wäre absolut nicht zu gewinnen. Die Witwenrente ist, genauer betrachtet, nur eine Witweninvalidenrente. Sie wird berechnet nach der Invalidenrente des verstorbenen Mannes, dessen Beiträge von bestimmendem Einflüsse auf ihre Höhe sind. Die Invalidenrente wird stets höher sein als die Witweninvalidenrente. Weibliche Versicherte also, die den Anspruch auf Invalidenrente erworben haben, erhalten keine Witwenrente beim Ableben ihres Mannes, doch wird ihnen ein Witwengeld in Höhe des Jahresbetrages einer Witwenrente und eine Waisenaussteuer für ihre Kinder bei deren 15. Lebensjahr in Höhe des 8monatlichen Betrages der Waisenrente ausgezahlt. Das Reich gewährt zu jedem Witwengeld einen einmaligen Zuschuss von 50 Mark und zu jeder Waisenaussteuer einen Zuschuss von 16⅔ Mark (§ 1285). Dagegen erhalten weibliche Versicherte, die keinen Anspruch auf Invalidenrente

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/65&oldid=- (Version vom 7.11.2021)