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abgelaufene Zeiträume zu gewähren sind, 4. Heilanstaltspflege, 5. Angehörigenrente, 6. Sterbegeld, 7. vorläufige Renten, 8. Neufeststellung von Dauerrenten wegen Änderung der Verhältnisse, 9. Kapitalabfindung, 10. Kosten des Verfahrens. Damit ist allerdings eine wesentliche Entlastung des R.V.A. von sogen. kleinen Gradsachen herbeigeführt, und es sind Kräfte für die vielen, dem R.V.A. durch die R.V.O. neu erwachsenden Aufgaben freigestellt. (Monatsblätter für Arbeiterversicherung 1911 S. 98–99).

Eine besonders wichtige Neuerung trifft die Ansammlung des Reservefonds der Berufsgenossenschaft. Der § 34 G.U.V.G. war schon seit längerer Zeit Gegenstand berechtigter Anfechtung, sowohl vom speziellen Standpunkte der Träger der Unfallversicherung aus, wie von allgemein finanziellen Gesichtspunkten. Nach den Rechnungsergebnissen für das Jahr 1907 betrug die Gesamtsumme der Rücklagen der gewerblichen Berufsgenossenschaften (mit Ausnahme der Tiefbau- und der Schmiedeberufsgenossenschaft) 241 796 Mill Mark. Diese Summe würde nach den Vorschriften des § 34 G.U.V.G. bis zum Jahre 1921 erhöht werden müssen auf 585 084 Mill. Mark; somit würden der Industrie entzogen werden weitere 294 Mill. Mark, was, da die Industrie ihr werbend angelegtes Kapital durchschnittlich mit 6% verzinst, während die Anlegung von Staatspapieren nur zu 3½% stattfinden könnte, einen jährlichen Verlust von 7⅓ Mill. Mark bedeutet. Nach dem bisher geltenden Rechte sind vom Jahre 1901 ab dem jeweiligen Bestände des Reservefonds je 3 Jahre lang 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4% zuzuschlagen unter Einrechnung der Zinsen des Reservefonds. Vom Jahre 1921 sind aus den Zinsen des Reservefonds diejenigen Beträge zu entnehmen, die erforderlich sind, um eine weitere Steigerung des auf eine jede versicherte Person entfallenden Umlagebeitrages zu beseitigen. Der Rest der Zinsen ist dem Reservefonds ohne zeitliche Beschränkung weiter zuzuschlagen. Die Vorschriften des Entwurfs von 1909 wollen demgegenüber eine Verbesserung. Nach Ablauf der ersten elf Jahre und sofern das elfte Jahr beim Inkrafttreten des G.U.V.G schon überschritten war, vom Jahre 1901 sollen die Zuschläge für die Rücklagen so bemessen werden, dass in den folgenden 21 Jahren der Kapitalbestand das Dreifache der Entschädigungssumme erreicht , die in demjenigen Jahre zu zahlen ist, für welches der letzte Zuschlag erhoben wird. Man war also grundsätzlich abgegangen von der Idee einer Erhöhung des berufsgenossenschaftlichen Reservefonds zu dem Zwecke, um den durch Unfälle verletzten Arbeitern eine genügende Sicherheit hinsichtlich der zu gewährenden Entschädigung zu bieten, denn die grösste Garantie liegt in der Leistungsfähigkeit der Industrie in ihrer Gesamtheit, äusserstenfalls in der Bürgschaft des Reiches. Man begründete jetzt die Ansammlung starker Rücklagen lediglich damit, dass bis zum Eintritt des Beharrungszustandes infolge der alljährlich zunehmenden Zahl der Rentenempfänger auch die Höhe der von den Betriebsunternehmern zu zahlenden Umlagebeiträge stetig wachse und dass es deshalb im Interesse der Industrie selbst geboten sei, gegenwärtig grössere Kapitalien anzusammeln, um dann aus den Zinsen derselben Zuschüsse zu den Umlagebeiträgen zu leisten und deren weiteres Anwachsen zu verhindern.

Nach der Reichsversicherungsordnung haben die Berufsgenossenschaften auch in Zukunft Rücklagen anzusammeln. Sie werden gebildet durch Zuschläge zu den Entschädigungsbeträgen. Es werden erhoben bei der ersten Umlegung dreihundert, der zweiten zweihundert, der dritten einhundertfünfzig, der vierten einhundert, der fünften achtzig, der sechsten sechzig vom Hundert; bei der siebenten bis elften Umlegung werden dann jedesmal 10 vom Hundert weniger erhoben. Auch die Zinsen fliessen der Rücklage zu. Nach den ersten 11 Jahren, oder wenn diese Zeit beim Inkrafttreten des Gewerbeunfallversicherungsrechts schon abgelaufen war, vom Jahre 1901 an werden die Zuschläge so bemessen, dass in den folgenden 21 Jahren der Kapitalbestand das Dreifache der Entschädigungssumme erreicht, die in dem Jahre des letzten Zuschlags zu zahlen ist. Müsste eine Genossenschaft in den 21 Jahren unverhältnismässig hohe Zuschläge erheben, so kann das Reichsversicherungsamt die Frist um höchstens 10 Jahre verlängern. Es bestimmt die Höhe des Zuschlags, den die Genossenschaft zu erheben hat.

Die Zinsen der Rücklage, die in der Zwischenzeit (§ 743) erwachsen, können zur Deckung der laufenden Ausgaben verwendet werden. Aus den Zinsen nach Ablauf dieser Zeit sind die Beträge zu entnehmen, die erforderlich sind, um zu verhüten, dass die Umlegebeiträge, die nach den Erfahrungen künftig durchschnittlich auf je einhundert Mark des verdienten Entgelts fallen, weiter steigen. Der

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/61&oldid=- (Version vom 7.11.2021)