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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

zustande, auf Beschluss der Vorstandsmehrheit mit Zustimmung des Vorsitzenden des Versicherungsamts ausgesprochen werden; nach zehnjähriger Beschäftigung darf sie nur aus einem wichtigen Grunde stattfinden. Die Vereinbarungen über das Kündigungsrecht der Kasse dürfen den Angestellten nicht schlechter stellen, als er mangels einer Vereinbarung nach bürgerlichem Becht gestellt sein würde. Kündigung oder Entlassung darf für Fälle nicht ausgeschlossen werden, in denen ein wichtiger Grund vorliegt. Geldstrafe darf nur bis zum Betrag eines einmonatigen Diensteinkommens vorgesehen werden (§ 354 Abs. 1–5). In Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnisse der Angestellten, die der Dienstordnung unterstehen, entscheidet das Versicherungsamt (Beschlussausschuss). Auf Beschwerde entscheidet das Oberversicherungsamt endgültig (§ 358 Abs. 1 Satz 1 und 2). Missbrauch des Amtes zu verhüten ist die Vorschrift bestimmt, dass Angestellte, die ihre dienstliche Stellung oder ihre Dienstgeschäfte zu einer religiösen oder politischen Betätigung missbrauchen, der Vorsitzende des Vorstandes zu verwarnen und bei Wiederholung, nachdem ihnen Gelegenheit zur Äusserung gegeben worden ist, sofort zu entlassen hat; die Entlassung bedarf der Genehmigung durch den Vorsitzenden des Versicherungsamts. Eine religiöse oder politische Betätigung ausserhalb der Dienstgeschäfte und die Ausübung des Vereinigungsrechts dürfen, soweit sie nicht gegen die Gesetze verstossen, nicht gehindert werden und gelten an sich nicht als Gründe zur Kündigung oder Entlassung (§ 354 Abs. 6).

Auch die Organe der Kassen können auf falsche Wege geraten. Deshalb hat der Vorsitzende Beschlüsse des Vorstandes oder Ausschusses, die gegen die Dienstordnung verstossen, durch Beschwerde an die Aufsichtsbehörde zu beanstanden; die Beschwerde bewirkt Aufschub. Macht der Vorstand oder sein Vorsitzender, obgleich ein wichtiger Grund dafür vorliegt, gegen einen Angestellten von seinem Kündigungs- oder Entlassungsrechte keinen Gebrauch, so kann ihn das Versicherungsamt dazu anhalten. Über die Anordnung entscheidet auf Beschwerde des Vorstandes das Oberversicherungsamt (Beschlusskammer) endgültig. Läuft eine Bestimmung des Anstellungsvertrags der Dienstordnung zuwider, so ist sie nichtig (§ 357). Da die Eigenschaft als Staatsbeamter mit der Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie unvereinbar ist, gewinnt § 359 besondere Bedeutung auch im Hinblick auf die Frage des Missbrauchs der Kassenverwaltung.

Der Vorstand einer Orts-, Land- oder Innungs-Krankenkasse kann mit Genehmigung des Oberversicherungsamts Beamte auf Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich oder mit Anrecht auf Ruhegehalt anstellen. Für Orts-, Land- und Innungskrankenkassen mit mehr als zehntausend Versicherten kann das Oberversicherungsamt nach Anhören des Kassenvorstandes anordnen, dass mindestens die Geschäftsleiter in dieser Weise angestellt werden. Der Vorstand hat dagegen die Beschwerde an die oberste Verwaltungsbehörde. Den Beamten, die in dieser Weise angestellt sind, kann die Landesregierung die Rechte und Pflichten der staatlichen oder gemeindlichen Beamten übertragen (§ 359 Abs. 1–4). Einen Widerwillen scheint man gegen Militäranwärter gehabt zu haben, denn nach § 359 Abs. 6 darf für Inhaber des Zivilversorgungsscheins (Militäranwärter) kein Vorrecht bei der Stellenbesetzung vorgeschrieben werden. Bei den Betriebskrankenkassen bestellt der Arbeitgeber auf seine Kosten und Verantwortung die für die Geschäfte erforderlichen Personen. Angestellten der Betriebskrankenkassen, die ihre dienstliche Stellung oder ihre Dienstgeschäfte zu einer religiösen oder politischen Betätigung missbrauchen, hat der Vorsitzende des Vorstandes zu verwarnen und bei Wiederholung, nachdem ihnen Gelegenheit zur Äusserung gegeben worden ist, sofort zu entlassen.

Der Gesetzgeber hat endlich die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleistet. Jetzt entscheidet über alle Streitigkeiten erster Instanz in Krankenversicherungssachen das Versicherungsamt, während nach bisherigem Recht eine bunte schwer übersehbare Mannigfaltigkeit der Instanzen lähmend und verwirrend wirkte. Bald hatte die Aufsichtsbehörde und zwar allein, bald mit nachfolgender Anfechtung durch Klage im ordentlichen Rechtswege eventl. nach Landesrecht im Verwaltungsstreitverfahren, bald nur das Verwaltungsgericht, das Gewerbegericht usw. zu entscheiden gehabt. Der Mangel einer einheitlichen Stelle für Rechtsstreitigkeiten erster Instanz ist beseitigt.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/55&oldid=- (Version vom 7.11.2021)