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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

gedacht. Besonders Ortskrankenkassen sind für einzelne oder mehrere Gewerbszweige oder Betriebsarten oder allein für Versicherte eines Geschlechts vorgesehen (§§ 239 bis 244). Die Mindestzahl der Mitglieder ist auf 250 festgesetzt. Die Gleichwertigkeit der Leistungen mit denen der massgebenden Ortskrankenkasse muss gesichert sein, ebenso die dauernde Leistungsfähigkeit und der Ausschluss der Gefährdung der allgemeinen Orts- und Landkrankenkasse.

Die Bestimmungen über die Vereinigung, Ausscheidung, Auflösung und Schliessung der Orts-, Land-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, sowie das Verfahren sind in teilweiser Anlehnung an bisherige Vorschriften des K.V.G., aber doch mit einem erheblichen Einschlag neuer durch die dargelegten Grundprinzipien der äusseren Organisation bedingten Ideen geregelt (§§ 264 bis 305).

4. Von erheblicher politischer Bedeutung ist die Frage der inneren Verfassung der Krankenkassen. Es hängt dies eng zusammen mit der Frage der Selbstverwaltung. Sie ist in reinster Form bei den Krankenkassen ausgebildet und trat bei den bisherigen politischen Erörterungen am meisten in den Vordergrund.

Die Gefahr, dass die Halbierung der Stimmen und Beiträge im Gegensätze zum bisherigen Verhältnisse: ⅔ bei Arbeitern und ⅓ bei Arbeitgebern, durchgeführt werde, wie es die Regierungsentwürfe vorschlugen, ist beseitigt. Was war die Absicht der Vorlage? Warum konnte man von einer Gefahr sprechen?

Die Absicht des Entwurfes zur R.V.O. war, durch Gleichstellung der Rechte und Pflichten zwischen den Arbeitgebern und Versicherten ein paritätisches Verhältnis herzustellen, das aber, bei Licht besehen, weder von den Arbeitgebern, deren Beiträge dadurch finanziell erheblich erhöht werden, gewünscht, noch auch für ein friedlicheres Funktionieren des Kassenwesens geeignet ist. Die Praxis der Dinge zeigt seit einem Vierteljahrhundert, dass die Arbeitgeber, von den Betriebskrankenkassen abgesehen, keinen allzu dringenden Wunsch zu einer Beteiligung an der Verwaltung geäussert haben, sie vielmehr meist als eine lästige Pflicht erachteten. Es haben eben die Arbeitgeber instinktiv richtig gehandelt, indem sie die Verwaltung der Kassen denen überliessen, für die sie bestimmt waren, den Arbeitern. Ohne die Leistungen der Arbeiter-, insbesondere Krankenversicherung würden die Löhne um denjenigen Betrag höher sein, der zur Krankenfürsorge unentbehrlich ist. Diesen höheren Lohnbetrag hätten aber selbstverständlich die Arbeiter ohne Mitwirkung des Arbeitgebers zu verwenden. Die Regierung wollte durch die Halbierung der Beiträge und Stimmen gleichzeitig ein Mittel finden zur Fernhaltung unberechtigter äusserer Einflüsse. Es ist aber nicht der Beweis erbracht, dass diese parteipolitische Ausnutzung, insbesondere, zu Gunsten der Sozialdemokratie, einen derartigen Umfang angenommen hätte, dass man zu einem so radikalen Mittel, wie der Halbierung der Beiträge und Stimmen und, wie davon untrennbar, der Bestellung eines bureaukratischen Vorsitzenden hätte greifen müssen. Gerade seitdem die Klagen in dieser Richtung in die Öffentlichkeit gelangt sind, bemühen sich, wie jeder Sachverständige weiss, die meisten Kassen, ihre Verwaltung rein sachlich im Sinne der sozialpolitischen Gesetze zu führen, und parteipolitischem Einfluss keinen Zugang zu gestatten. Ob die Bemühungen zu radikalem Ausschalten der „unberechtigten äusseren Einflüsse“ geführt haben, kann man schwer beweisen. Allein wenn, wie ich annehmen muss, der parteipolitische Missbrauch in den Krankenkassen nur Ausnahme, nicht Regel ist, dann darf man nur zu Mitteln greifen, die ihm Vorbeugen oder ihn bekämpfen, nicht aber zu solchen, die das Selbstverwaltungsrecht auf das äusserste gefährden. Hoffentlich werden die Versuche, den jetzt durch § 332 R.V.O. bestätigten Rechtszustand – der Ausschuss besteht zu ⅓ aus Vertretern der Arbeitgeber, zu ⅔ der Versicherten – zu ändern, nicht immer wieder unternommen werden.

5. Hinsichtlich der Verwendung der Kassenmittel ist der Grundsatz des § 29 Abs. 2 K.V.G. (§ 363) wiederholt, dass jene Mittel nur verwendet werden dürfen für die satzungsmässigen Leistungen, zur Füllung der Rücklage, für die Deckung der Verwaltungskosten und für Massnahmen allgemeiner Art zur Verhütung von Krankheiten der Kassenmitglieder. Neu ist, dass Aufwendungen aus Kassenmitteln zulässig sind für die Teilnahme an Versammlungen, die zur Förderung der gesetzlichen Zwecke der Krankenversicherung bestimmt sind (§ 363 Abs. 2). Dass

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/51&oldid=- (Version vom 7.11.2021)