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des Staates seien berührt („en tant qu ils ne touchent ni à l’honneur national ni aux interêts vitaux des Etats“).

Man hatte sich im Komitee auf diese drei Punkte geeinigt und zugleich im Vertragstext zum Ausdruck gebracht: es liege im Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit, dass in erster Linie Rechtsfragen zur schiedsrichterlichen Entscheidung zu bringen seien. Aber indem man allgemein die Frage, ob eine schiedsrichterliche Entscheidung herbeigeführt werden solle, dem Willen der streitenden Mächte anheimstellte, konnten jederzeit auch politische Streitfragen kraft dieses Willens dem Schiedsgericht zugewiesen werden und dies ist wiederholt geschehen (Venezuelastreit, Casablancafall).

Diese Beschlüsse des Komitees wurden jedoch, einer Forderung des Deutschen Reiches gemäss, weiterhin dahin eingeschränkt, dass, um nicht die neue Friedensordnung von Anbeginn ihrer Wirksamkeit an mit zu vielen schweren Problemen zu belasten, das ganze Obligatorium beseitigt wurde. Massgebend ist somit lediglich der Wille der Parteien im einzelnen Falle. Vorbehalten blieb das Obligatorium nur, insoweit es durch besondere Verträge, wie z. B. den Weltpostvereinsvertrag, bereits eingeführt ist. Ausserdem wurde den Mächten empfohlen, durch Sonderverträge das Obligatorium einzurichten und es ist dies durch zahlreiche Verträge dieser Art in sehr umfassender Weise geschehen, so z. B. auch durch einen deutsch-englischen Sondervertrag ganz allgemein.

Mit dieser Frage hat sich dann die zweite Friedenskonferenz 1907 in Monate langen Beratungen beschäftigt, die das Problem nach allen Seiten gründlich beleuchteten, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte; nur auf eine farblose und in sich widerspruchsvolle Resolution vermochte die Konferenz sich schliesslich zu einigen. Die Lösung der Frage scheiterte an dem Widerspruch des Deutschen Reiches, dem sich Oesterreich-Ungarn und mehrere andere Staaten anschlossen, indess die Mehrheit der Konferenz sich über eine Lösung verständigt hatte, die aber nicht zum Konferenzbeschluss erhoben werden konnte, da hierfür Einstimmigkeit (oder doch: „nahezu“ Einstimmigkeit) erforderlich war.

Es kann auf die Einzelheiten dieser hochinteressanten Verhandlung nicht eingegangen werden. Insoweit der Widerspruch des Deutschen Reiches sich gegen eine Liste von obligatorischen Schiedsgerichtsfällen ohne die sog. Ehrenklausel richtete, war er berechtigt; insoweit er ein Obligatorium für Rechtssachen unter dem Schutze der Ehrenklausel überhaupt bekämpfte, war er ungerechtfertigt und wird sich auf die Dauer nicht aufrechterhalten lassen.

5. Inzwischen ist von Amerika aus durch den früheren Präsidenten Taft eine mächtige Bewegung entfacht worden für Schiedsgerichtsverträge ohne Ehrenklausel; die Entwürfe von solchen mit England und Frankreich sind vom Abgeordnetenhaus angenommen, vom Senat aber abgelehnt worden. Man hat zu diesen Verträgen mit Recht bemerkt: sie seien nicht Schiedsgerichtsverträge, sondern vorbehaltlose Bündnisverträge. Andrerseits betont Taft selbst: Die nationale Politik müsse selbstverständlich immer ausserhalb des Schiedsgerichtes bleiben, aber Fragen der nationalen Ehre könnten sehr wohl dem Schiedsgericht unterworfen werden. Es wird schwer sein, sich eine klare Vorstellung von der praktischen Bedeutung dieser Taft’schen Unterscheidung zu machen: Fragen der nationalen Politik und Fragen der nationalen Ehre werden identisch sein; ist eine Frage, mag sie ursprünglich ganz unpolitisch gewesen sein z. B. Anwendung eines Zolltarifcs, zu einer Frage der nationalen Ehre geworden, so ist sie damit, wenn sie es nicht schon vorher war, zugleich zu einer Frage der nationalen Politik geworden. Tafts grosser Vorgänger Roosevelt hat sich mit grösster Entschiedenheit dahin erklärt, dass Schiedsverträge ohne Ehrenklausel bei den heutigen Staatsverhältnissen undenkbar seien, teilt also die Ansicht, die ich in meiner Rektoratsrede vom 18. Oktober 1910 und anderwärts vertreten habe. Der Taft’sche Vorbehalt der nationalen Politik ist noch viel unbestimmter als die Ehrenklausel; dadurch dass er keinen besonderen Ausdruck findet, wird die Vorstellung erweckt, als handle es sich um einen lückenlosen,

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/410&oldid=- (Version vom 25.12.2021)