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mit Österreich-Ungarn; als dann 1881 Frankreich Tunis unter seine Botmässigkeit stellte, schloss sich jenem Bündnis auch Italien an. So entstand der sog. Dreibund, wie er bis zum heutigen Tage besteht; die Bundes-Urkunde wurde nicht veröffentlicht; dass der Kernpunkt des Bundes für jeden der Verbündeten die Waffenhilfe der Bundesgenossen im Falle eines Krieges gegen zwei andere Mächte zugleich bildet, darf als feststehend angesehen werden.

7. Dieser Mächtegruppierung gegenüber wurde andrerseits die Annäherung Russlands an Frankreich eine immer engere und führte gleichfalls zum Abschluss eines festen Bundesverhältnisses, das, als solches zweifellos, doch in seinen Einzelbestimmungen gleichfalls geheim geblieben ist. Man darf kaum bezweifeln, dass im Kriegsfalle seine Folge eine unbedingte gegenseitige russisch-französische Waffenhilfe wäre.

8. Diese beiden Bundesgruppen europäischer Grossmächte fand bei seinem Regierungsantritt Eduard VII. von England vor. Er betrachtete es als seine Hauptaufgabe, Frankreich zu stärken und die zahlreichen englisch-russischen Differenzen auszugleichen. Diese mit Meisterschaft verfolgte Politik führte England in ein nahes Verhältnis zu den beiden Mächten des Zweibundes, das gleichfalls vertragsmässige Formulirung als sog. Drei-Entente fand, aber gleichfalls geheim gehalten wurde. In Ostasien sicherte sich England das entscheidende Wort durch ein Bündnis mit der durch den siegreichen Krieg mit Russland gewaltig emporgestiegenen Grossmacht Japan. Die frühere Zurückhaltung Englands in Sachen des kontinentalen Europa hat sich mehr und mehr ins Gegenteil verwandelt: seit und durch Eduard VII. hat England die Führung der dem Dreibund gegenüberstehenden Mächtegruppirung und spricht darin das entscheidende Wort. Dass von dieser Mächtegruppe aus eine starke Annäherung an Italien gesucht wurde, dass andrerseits von dem grossen Kapital der früheren Beziehungen zwischen Deutschland und Russland einzelne Stücke wiedergewonnen wurden, darf gleichfalls als feststehend betrachtet werden. Die Politik Eduards VII., in ihrem Endziel gegen Deutschland gerichtet, hat in der zweiten Hälfte des Jahres 1911 in der grossen Weltkrisis der Marokko-Frage ihren Höhepunkt erreicht. Inzwischen haben durch den Angriff Italiens auf Tripolis und den dadurch hervorgerufenen italienisch-türkischen Krieg, sowie insbesondere durch die Besetzung der meisten türkischen Inseln im Ägäischen Meere durch Italien endlich durch die Zertrümmerung des türkischen Staates in Europa infolge der kriegerischen Erfolge der verbündeten Balkan-Königreiche im Herbst 1912 die Staatenverhältnisse abermals eine tiefgreifende Veränderung, wenn auch zunächst ohne Veränderung der bestehenden Bündnisse, gefunden. Welche Entwicklung die Weltgeschichte von hier aus nehmen wird, entzieht sich jeder Voraussicht.

II. Die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit.

Literatur:

Die zahlreichen Schriften von Alfred H. Fried.
Die offiziellen Protokolle der beiden Haager Friedenskonferenzen. –
Die Werke von Meurer, Nippold, Merighnac, Holls, Scott über die Haager Friedenskonferenzen; dazu jetzt
Schücking: Das Werk vom Haag, bis jetzt erschienen 2 Bände, von Schücking und Wehberg.
Ferner die Werke von Lammasch über internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
Zahlreiche Monographien, darunter besonders die Bonner Dissertation von Alwine Tettenborn: Das Haager Schiedsgericht. –
Der Kommentar zur Schiedsgerichtskonvention von Wehberg.

1. Indess die auswärtigen Verhältnisse der grossen Staaten der Welt von Jahr zu Jahr und zuletzt von Tag zu Tag immer schwieriger wurden, entwickelte sich in der Welt und zwar zunächst ohne Zusammenhang mit den Regierungen eine stetig anwachsende Friedensbewegung. Man darf wohl diese Bewegung auf drei an sich verschiedene, aber im Endziel zusammentreffende Geistesrichtungen zurückführen. Einmal waren es religiös-christliche Ideengänge, die an dieser Bewegung starken Anteil hatten; insbesondere war dies der Fall in den angelsächsischen Ländern, England und Vereinigten Staaten von Amerika, wo die Bewegung vielfach selbst in den regelmässigen Gottesdienst Eingang fand. Diese religiöse Ausprägung des Friedensgedankens

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/407&oldid=- (Version vom 25.12.2021)