Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/380

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

deutschen Kaiser hatte. Das Schlagwort von der gelben Gefahr kam auf und der Kaiser liess nach seinen Angaben jenes Bild von dem auf Wolken ansegelnden Buddha durch Professor Knackfuss herstellen, das die berühmte Unterschrift trägt: Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter! Der Ruhm Chinas war nun von Grund aus erschüttert. Das Wort eines russischen Obersten, er getraue sieh mit 10 000 Mann ganz China zu erobern, erschien nun nicht mehr als eitle Prahlerei. Gleichwohl war die beständige Einbusse der Bezopften an Ansehen, war das unaufhörliche Vordringen der Fremden nicht ohne Eindruck auf die Seele des chinesischen Volkes geblieben. Alles Unheil, das dem Land der Mitte wiederfuhr, schrieb man den Fremden zu. So entstand die Bewegung von den Männern der geballten Faust, der Boxerkrieg. Der deutsche Gesandte, Baron Ketteler, wurde im Juli 1900 in den Strassen von Peking ermordet und das chinesische Volk, von der Regierung halb begünstigt, schritt zur Belagerung der Gesandtschaften. England, Nordamerika, Frankreich, Deutschland, Österreich, Italien schickten Truppen nach Petschili; das Merkwürdigste aber war, dass auch die Japaner sich dem grossen Kreuzzuge gegen China anschlossen. Gerade sie waren die ersten, die in die Mauern Pekings eindrangen.

Die vorletzte Etappe der ostasiatischen Entwicklung wird durch den Marsch der Engländer nach Lassa (1904) und den japanisch-russischen Krieg dargestellt, die letzte durch den Bürgerkrieg, der am 9. Oktober 1911 in Hankau ausbrach und der bis Oktober 1913 andauerte.

Die gelbe Gefahr, deren Gegenstück in den Augen der Ostasiaten die weisse Gefahr ist, hat eine religiös-kulturliche, eine wirtschaftliche, eine rassenpolitische und eine militärische Seite. Die Welt des Buddha und Konfuzius nimmt christliche Gedanken an. Schon die Revolution der Taiping und der letzte Ausbruch von Hankau war direkt durch Schüler christlicher Missionäre ins Werk gesetzt. Auf den amerikanischen Colleges und den Hochschulen Englands und Deutschlands befreunden sich die Jungchinesen und die Japaner mit Ideen des Abendlandes. Andererseits aber haben die buddhistischen Anschauungen bei uns viel Eingang gefunden. Bereits Schopenhauer ist von ihnen berührt und in der Gegenwart ist eine förmliche Invasion buddhistischer Vorstellungen bei uns zu beobachten, wie es denn auch, namentlich in den Kreisen der Theosophen schon Zehntausende von Europäern und Amerikanern gibt, besonders in München, Paris, Chikago und Kalifornien, die sich ganz oder halb zum Buddhismus bekehrt haben. Eine kaum minder grosse, wenn auch nicht so gefährlich auftretende Einwirkung hat die Kunst Ostasiens auf uns ausgeübt. Am meisten wird das wirtschaftliche Problem erörtert. Hier stehen sich zwei Ansichten schroff gegenüber. Die einen Beurteiler meinen, dass uns im Westen eine furchtbare Konkurrenz von seiten der genügsamen Ostasiaten drohe. Wie in Indien, so könne sich auch in Ostasien eine Kulifamilie mit 5–6 M. einen Monat lang ernähren. Die Ostasiaten hätten ein bemerkenswertes Geschick in allen technischen Dingen und hätten ein klares Verständnis für die Vorteile unserer Industrie. Der Chinese vor allem sei der beste Kaufmann der Welt, der Tag und Nacht auf nichts anderes als auf Gelderwerb sinne. Im übrigen könne man es ja in Kalifornien und Australien sehen, wie rasch der Weisse vor dem Mitbewerb der Gelben zurückweiche und wie ein Übergewicht der Gelben nur durch schärfste Ausübungsmassregeln verhütet werde (die erste Bill, die in Amerika die Einwanderung von Chinesen beengte, wurde 1880 Gesetz). Die entgegengesetzte Theorie, unter deren Wortführern Vosberg-Rekow und Alexander Tille zu nennen sind, macht geltend, dass die Löhne in dem letzten Menschenalter und namentlich seit den letzten zwei japanischen Kriegen um ein vielfaches gestiegen seien. Je mehr sich ferner die ostasiatische Industrie vergrössere, um so bedeutender müsse die Einfuhr europäischer Maschinen werden, um so leistungs- und infolgedessen aufnahmefähiger, also auch für den europäisch-amerikanischen Markt geeigneter würde die ostasiatische Bevölkerung werden. In der Tat ist ja der Handel des Westens mit den ostasiatischen Ländern ungemein gewachsen; in Japan hat er sich seit 1868 verzwölffacht und seit 1895 verfünffacht(jetzt über zwei Milliarden Mark); der Aussenhandel Chinas ist zwar erheblich langsamer, aber stetig in die Höhe gegangen. Für Japan sei zu rügen, dass die dortigen Kaufleute unzuverlässig und verschwenderisch seien, dass die Aktiengesellschaften Dividendenraubbau trieben, dass Gründungsfieber und Bankerotte herrschten. Ausserdem leiste ein tüchtiger weisser Arbeiter das 4- und 5 fache des gelben Arbeiters. Rassenpolitisch kommt in erster Linie die Grösse und die Zunahme der Bevölkerung in Betracht, in zweiter die Eignung der einzelnen Rassen für die Betriebe der

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/380&oldid=- (Version vom 21.11.2023)