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die es von dem Dreibunde, namentlich von Deutschland, erhielt. Als unter Hanotaux neue Tendenzen zu einer deutsch-französischen Annäherung vorhanden waren – die aber nie zu dem Plane einer Änderung der deutschen Politik in Ägypten führten – suchte England zu verhindern, dass diese Annäherung ihm selbst schädlich werden könnte. Bald nach dem Krügertelegramm – und der drohenden Botschaft des amerikanischen Präsidenten Cleveland – verglich sich England zunächst mit Frankreich wegen Siams; und als sich am oberen Nil der Konflikt mit Frankreich zuspitzte, schloss es mit Deutschland den Geheimvertrag über gewisse afrikanische Gebiete.

Ausserhalb Europas war die englische Politik bestimmt durch den alten Gegensatz zu Russland, das wie erwähnt, bis an die afganische Grenze vordrang, und in demselben Jahre (1885) einen Vorstoss nach Korea machte. Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten blieben, solange diese keine eigentliche auswärtige Politik hatten, von verhältnismässig untergeordneter Bedeutung; nur kam es 1896 zu einem kurzen aber heftigen Streit wegen der Grenze zwischen Britisch-Guyana und Venezuela, der dann durch Schiedsgericht beigelegt wurde. Als gegen Ende des Jahrhunderts die ostasiatischen Fragen in Fluss kamen, näherte sich England Amerika, dem es in den Hay-Pauncefote-Vertrag (1901) eine bedeutende Konzession in der Panamakanalfrage machte, und schloss ferner 1902 ein Defensivbündnis mit Japan.

Eine neue Orientierung Englands in der europäischen Politik bereitete sich während des Burenkrieges vor. England hatten mächtige Koalitionen auf dem Festlande stets Besorgnisse eingeflösst. Lord Beaconsfield glaubte, auf dem Berliner Kongress das Dreikaiserbündnis für alle Zeiten unmöglich gemacht zu haben; und wie erwähnt, hielt England i. J. 1885 für notwendig, sich mit Deutschland zu verständigen, bevor es an die Auseinandersetzung mit Russland ging. Im Burenkriege sah sich England der feindlichen Kritik der Presse sowohl der Dreibund- als der Zweibundmächte ausgesetzt. Es gab Monate, wo England von Truppen fast ganz entblösst war. In seiner Flottenpolitik verfolgte England seit 1889 den Zweimächte-Standard, der ihm die Überlegenheit über die russische und französische Flotte gewährleistete. Jetzt aber befürchtete die öffentliche Meinung in England die Möglichkeit einer Koalition der drei Mächte Deutschland, Frankreich und Russland; und Deutschland hatte gerade angefangen, eine stärkere Kriegsflotte zu bauen. Man begann daher an eine neue Orientierung der englischen Politik zu denken, um eine solche Koalition zu verhindern. Dass man auch in amtlichen englischen Kreisen die diplomatische Stellung Englands zu verstärken wünschte, scheint aus der bekannten Rede Chamberlains (29. Nov. 1899) hervorzugehen, in der er die Idee eines englisch-deutsch-amerikanischen Bündnisses proklamierte. Ob damals oder später an ein Bündnis mit Deutschland ernstlich gedacht worden ist, lässt sich bei dem vorliegenden Material nicht entscheiden. Jedenfalls begann die öffentliche Meinung Englands für eine Annäherung für Frankreich zu optieren, und bald danach auch für einen Ausgleich mit Russland Stimmung zu machen. Der Grund war, das man Deutschland als den gefährlicheren Gegner betrachtete. Der Aufschwung, den Deutschland in Industrie, Handel und Schiffahrt genommen hatte, steigerte die schon lange vorhandenen Besorgnisse vor der deutschen Konkurrenz; der Bau der deutschen Flotte brachte eine völlig neue Grösse in die Berechnungen über das Gleichgewicht der Mächte; und die Erwerbung von Kiautschou und einiger Inselgruppen in der Südsee sowie die weltpolitischen Reden des Fürsten Bülow wurden als der Anfang einer ehrgeizigen und gefährlichen deutschen Expansionspolitik gedeutet. Dagegen war von Frankreich, das soeben erst die Demütigung von Faschoda hatte hinnehmen müssen, wenig zu befürchten. Während ein einflussreicher Teil der englischen Presse die deutsche Politik heftig bekämpfte und für eine Anlehnung an Frankreich plädierte, fuhr die englische Regierung einstweilen fort, im Einvernehmen mit Deutschland zu handeln. Allein der Widerstand dagegen war schon so gross geworden, dass das Kabinet Balfour, das durch innere Spaltungen geschwächt war, sich genötigt sah, der öffentlichen Meinung zu weichen. In der Venezuelafrage gab es ihre anfängliche Kooperation mit Deutschland auf, und die Beteiligung Englands an der Bagdadbahn, die schon gesichert erschien, wurde zurückgezogen. Immerhin wurde aber noch die italienisch-französische Entente von 1902 in England anfangs

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/325&oldid=- (Version vom 12.12.2021)