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b) Offizierersatz (einschl. Beamte).

Die Offiziere des Friedensstandes (4 Hauptklassen), deren Zahl jedes Jahr durch den Etat festgesetzt wird (1912 waren es 27 267, künftig werden es etwa 31 500 sein) gehen aus den bei einem Truppenteil mit Aussicht auf Beförderung zum Offizier von den für die Ergänzung verantwortlichen Regiments- oder selbständigen Bataillonskommandeuren angenommenen Fahnenjunkern aus Kadetten und endlich aus Offizieren des Beurlaubtenstandes hervor. Ausländer bedürfen besonderer A. Genehmigung. 1912 wurden 1608 Offiziere (einschl. der in aktiven Stellen verwendeten Offiziere z. D.) angestellt, 1196 verabschiedet.

Das Offizierkorps wird nicht – ebensowenig wie die Unteroffiziere und Mannschaften – auf die Verfassung vereidigt (abgesehen vom Kriegsminister). Auch ruht für alle Personen des Soldatenstandes unter den Fahnen die Wahlberechtigung, sie haben nur ein passives Wahlrecht. Den Offizieren steht die Befehlsgewalt als Ausfluss des Kaiserlichen Oberbefehls zu.

Auf Grund des Reifezeugnisses für die Universitäten oder durch die Fähnrichsprüfung wird der wissenschaftliche Bildungsgrad nachgewiesen. Durchschnittlich sind 65 v. H. Abiturienten, 5 v. H. Oberprimaner, 14 v. H. Kadetten und 16 v. H. durch eine sogen. „Presse“ herangebildete als Aspiranten zu verzeichnen. Nach Erwerbung eines Führungs- und Dienstausbildungszeugnisses bei der Truppe auf Grund einer mindestens 6 monatigen Dienstzeit erteilt die Ober-Militär-Prüfungskommission das Reifezeugnis, auf das hin der Vorschlag zum Fähnrich geschieht. Hieran schliesst sich der Besuch einer Kriegsschule (bisher 11, werden in Preussen jetzt um eine vermehrt) und die Ablegung der Offizierprüfung. Nach souveräner Wahl des Offizierkorps erfolgt der Vorschlag zur Beförderung bei den Bundesfürsten bezw. Senaten (den Kontingentsherrn), die (mit der Einschränkung des Artikels 64 der Verfassung) die Offiziere ernennen. Für Kadetten (11 Kadettenanstalten, die in Preussen und Sachsen jetzt vergrössert werden) bestehen besondere Vorschriften. Auszeichnung vor dem Feinde befreit von der Fähnrichsprüfung und fortgesetzt ausgezeichnetes Benehmen im Kriege auch von der des Offiziers. „Die Fahnenjunker müssen aus Kreisen genommen werden, in denen der Adel der Gesinnung zu Hause ist, der das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat. Neben den Sprossen der adligen Geschlechter, neben den Söhnen Meiner braven Offiziere und Beamten erblicke Ich die Träger der Zukunft Meines Heeres auch in den Söhnen solcher ehrenwerter bürgerlicher Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den Soldatenstand und christliche Gesinnung gepflegt werden.“ (A. K. O.)

Sorge macht aber lange schon und auch jetzt wieder, wo 4000 neue Offizierstellen auf Grund der Heeresverstärkung nötig werden, der Offizierersatz aus geeigneten Kreisen. Schon 1910 gab es im Vergleich zu den etatsmässigen sehr viele Fehlstellen, so in Preussen 3,04 v. H. (darunter 604 Leutnants), Bayern 3,08 v. H. (63 Leutnants), Sachsen 8,97 (60 Leutnantsstellen). Schuld daran trägt vor allem die fortbestehende schlechte und ungerechte Versorgung der inaktiven Offiziere durch Arbeit und neue Berufsstellen, bezüglich der Altpensionäre aber namentlich auch durch unzureichende Pension, die sie und ihre Angehörigen und Hinterbliebenen drückendster Not aussetzt und gegen ihre jüngeren Kameraden benachteiligt. Aber auch die Beförderung des Aktiven liess zu wünschen übrig, und es lag die Gefahr vor, dass sie, besonders bei der Hauptwaffe, der Infanterie, in den Hauptmanns- und Stabsoffizierstellen, denen der wichtigste und anstrengendste Teil der Ausbildung obliegt, in einer die Kriegstüchtigkeit beeinträchtigenden Weise überaltern. Erst nach 16jähriger Leutnantszeit, mit 36–38 Jahren, wurde der zweite Stern und die Kompagnie- oder Schwadronchefstellung, mit 48 Jahren etwa der Major erreicht, statt des Regimentskommandeurs (bei den „Frontoffizieren“, die „Springer“ kamen natürlich früher in die höhere Stellung). Nur die Generalität war jung (51–57, Kommandierende Generale also von 57 Jahren). Hierin dürfte das neue Wehrgesetz Wandel schaffen und verjüngend wirken. Der Leutnant dürfte etwa 2½ Jahre bis zum Hauptmann ersparen.

Das schon 1813 als „Freiwillige Jäger“ Scharnhorsts entstandene, besonders 1866 und 70/71 bewährte Offizierkorps des Beurlaubtenstandes (Reserve- und Landwehroffiziere), mit dem Preussen allen Staaten als Vorbild gedient hat, ist bei einem Volksheer besonders wichtig. Und sehr, vielleicht in noch höherem Grade, namentlich im Kriegsfall, das an gutem Geist und Friedenserfahrung dem aktiven ebenbürtige, an eigener Kriegserfahrung ihm heute im langen Frieden weit überlegene inaktive Offizierkorps. Es ist zugleich der Hauptträger unserer wissenschaftlichen Militärliteratur und hat Koryphäen von Weltruf in seinen Reihen.

Neben dem eigentlichen Offizierkorps besteht noch ein Sanitätsoffizierkorps (2367 Köpfe) mit dem Generalstabsarzt der Armee[1] als Chef an der Spitze, dem Sanitäts-Inspektionen, deren jede einen mehrere Armeekorps umfassenden Geschäftsbereich hat, unterstellt sind. Es ist grossenteils auf der Kaiser Wilhelms-Akademie herangebildet, und aus ihm sind viele der hervorragendsten Kapazitäten des Deutschen Aerztestandes hervorgegangen. Der gute Gesundheitszustand unserer Armee ist der beste Beweis für die grosse Tüchtigkeit dieses sehr bedenkliche Lücken aufweisenden verdienten Offizierkorps.[2] Infolge der Doppelnatur als Arzt und


  1. Er ist zugleich Chef der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums und Direktor der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. Ihm sind auch das Sanitätsamt der militärischen Institute und die Genesungsheime für deutsche Offiziere und Sanitätsoffiziere in Arco und Falkenstein unterstellt.
  2. Von 317 626 insgesamt 1909/10 behandelten Mannschaften des Deutschen Heeres sind 290 464 in militärärztlicher Behandlung gewesen und wieder dienstfähig geworden und nur 598 = 1,9 v. T. der Behandelten bzw. 1,1 v. T. der Kopfstärke des Deutschen Heeres gestorben. Von venerisch Erkrankten wurden rund 87 v. H. wiederhergestellt. Bei den unter Chefärzten stehenden Garnisonlazaretten und Sanitätsdepots sind Stabsapotheker angestellt.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/309&oldid=- (Version vom 11.12.2021)