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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

die Militärhoheit der Einzelstaaten nicht und belässt ihnen besonders die Verwaltung in Militärangelegenheiten.

Die Preussische Armee und die unter Preussischer Verwaltung in der Mehrzahl (Baden und Braunschweig ausgenommen) schon seit der Begründung des ehemaligen Norddeutschen Bundes stehenden Kontingente (mittlere und kleine Bundesstaaten) sind als ein in sich geschlossener Bestandteil in das Bundesheer übergegangen. Sie wurden mit den drei anderen grossen Staaten der Verfassung: Bayern, Sachsen und Württemberg durch im einzelnen vielfach verschiedene Militärkonventionen militär-technisch zu einem engen Verbande vereinigt, Sachsen sogar schon am 7. II. 1867, die beiden anderen am 23. bezw 21./25. XI. 1870. Elsass-Lothringen steht laut Reichsgesetz vom 9. VI. 1871 in militärtechnischer Beziehung unmittelbar unter dem Kaiser, es gibt also keine reichsländischen Truppen, die dort garnisonierenden Regimenter sind Preussische, Bayerische, Sächsische und Württembergische. Und Helgoland ist dem Preussischen Staat einverleibt worden.

Einzig die ausserhalb des Bundesgebiets stehenden Schutz- und Besatzungstruppen der deutschen Kolonien und Schutz- bezw. Pachtgebiete, ein der ursprünglichen Reichsverfassung fremdes Element, sind dem Kaiser unterstellte Reichsheeresteile bzw. Marinetruppen.[1]

Auf diese Weise ist die frühere Zersplitterung in kleine und kleinste Kontingente – war doch Deutschland einst in 1789 selbständige Teilchen und damit „Kriegsmächte“ zerstückelt –beseitigt, obwohl nach der Reichsverfassung alle Bundesstaaten „eigene Truppen“ besitzen.

Der souveräne Bundesrat bildet aus seiner Mitte einen „Ausschuss für das Landheer und die Festungen“ (7 Mitglieder, darunter 6 vom Kaiser, 1 vom König von Bayern ernannt), der u. a. die für die Preussische Armee giltigen Anordnungen und Verwaltungsvorschriften den Kommandos der übrigen Kontingente zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzuteilen hat. Er hat zugleich die Berichterstattung in allen Militär- und Festungsangelegenheiten an den Bundesrat und betätigt durch die Kontrolle des Rechnungshofes die Aufsicht. Der Preussische Kriegsminister ist Vorsitzender und ausführendes Organ.[2]

Obwohl nun diese vier grossen Kontingente, namentlich Bayern mit seinen Reservatrechten, besondere und in sich abgeschlossene, dabei von den Staatsoberhäuptern verwaltete Armeen und Armeekorps mit eigenen Fahnen und Ehrenzeichen sowie manchen kleinen Verschiedenheiten bilden, handelt es sich doch um ein einheitliches Bundesheer, namentlich im Kriegsfalle, das unter dem Befehl des Kaisers steht. (Art. 63.)

Denn auch in Sachsen und Württemberg, deren Könige mit der aus Artikel 63 sich ergebenden Beschränkung ihre Kontingente persönlich verwalten, übt der Kaiser schon im Frieden als Bundesfeldherr einen Teil der Militärhoheit aus, und seit 1893 hat Württemberg auch noch eine innige Personalverbindung in Heeressachen mit Preussen. Ja sogar das Bayerische Heer, das in sich geschlossen ist und unter der vollen Militärhoheit seines Königs – der im Frieden in seiner Person die Befugnisse vereinigt, die im übrigen Reichsgebiet zwischen dem Kaiser und den Kontingentsherren geteilt sind – selbständig verwaltet und ausgebildet wird, wenn auch in voller Übereinstimmung mit den übrigen Bundesheeren, auf das also die Artikel 61–68 der Verfassung nicht Anwendung finden, tritt im Kriege und zwar mit Beginn der auf Veranlassung des Kaisers durch den König befohlenen Mobilmachung unter Kaiserlichen Oberbefehl. Freilich selbst dann unter


  1. Das Kommando der Kaiserlichen Schutztruppen (319 Offiziere, 6855 Mann, davon 4767 Farbige) für Ost- und Südwestafrika und Kamerun, sowie der Polizeitruppen (5938 Mann, darunter 5259 Farbige) für die genannten Kolonien, Togo und die Südseegebiete ist dem Reichskolonialamt in Berlin angegliedert, dem die Deutschen Schutzgebiete (2 907 372 qkm mit fast 12 Millionen Einwohnern) anvertraut sind. Das Pachtgebiet Kiautschou (552 qkm mit 165 000 Einwohnern) steht samt seiner Marinebesatzung (120 Offiziere, 3005 Mann Infanterie und Artillerie) und den Polizeitruppen (110 Mann, davon 80 Farbige) unter dem Reichsmarineamt in Berlin. Polizeitruppen gehören nicht zu den Soldaten (Heer oder Flotte).
  2. Das Preussische Kriegsministerium vermittelt auch den Verkehr mit den drei anderen selbständigen Kriegsministerien Bayerns, Sachsens und Württembergs. Im Ausschuss müssen ausser dem Präsidium mindestens 4 Bundesstaaten mit je einer Stimme vertreten sein, Bayern hat eine ständige Stimme.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/301&oldid=- (Version vom 11.12.2021)