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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

toten Besitz unseres Vaterlandes, die ungefähr 14,94 M. (mit Kriegsflotte 21,86) auf den Kopf ausmacht, diese vorbeugende Organisation unseres Wehrwesens ist nicht zu hoch und wohl angebracht, denn sie erhält nun schon seit über einem Menschenalter in bisher in der Geschichte Europas ungewohnter Weise den Frieden der Welt, der nicht zuletzt auf deutschen Bajonetten ruht. Der Frieden wird dadurch weit mehr gefördert, als der Krieg herbeigeführt, dessen Lasten ohnehin mehr die Volksmassen als die herrschenden Klassen tragen. Ein verlorener Krieg ist teurer als die kostspieligste Vorbereitung dazu, deren Mangel dann auch nicht durch die grössten Anstrengungen im Kriege ausgeglichen werden kann. Aber auch der Sieger wird unbedingt wirtschaftlich mehr verlieren als gewinnen. Jeder siegreiche Krieg kostet einer Grossmacht wohl an 12 bis 13 Milliarden, ist der Feldzug aber unglücklich, wohl das Doppelte, allein an Zinsen mindestens 1 Milliarde, ganz abgesehen von den anschliessenden jahrelangen wirtschaftlichen Schädigungen (sowie etwaigen Gebietsverlust). Und dann würden erst recht und in erhöhtem Masse Rüstungsopfer wieder gebracht werden müssen. Zugleich gewährt das in einem starken Heer liegende mächtige Element der Ordnung die Ruhe und Sicherheit von Thron und Bürger im Innern. Mehr fast als für diesen Schutz, nämlich 1 Milliarde jährlich, zahlt ja der deutsche Bürger freiwillig an blossen privaten Versicherungen gegen Feuer, Hagelschlag, Unfall und Tod.

So sichert und fördert die Armee also Handel und Wandel und alle nationalen Werte. Keine Kulturnation besitzt überdies so grosse Reserven wie die deutsche. Das Volksvermögen beträgt mindestens 300 Milliarden (oder 4500–4700 M. auf den Kopf) und vergrössert sich jährlich selbsttätig um etwa 8 Milliarden. Das jährliche Einkommen erreicht an 40 Milliarden und ist seit 1896 um 80 v. H. gestiegen. Von dem werden 25 Milliarden jährlich für persönliche Zwecke verbraucht, 7 Milliarden für öffentliche Zwecke. Da die sogen. „Blutsteuer“ der unbeschränkten allgemeinen Wehrpflicht nur 1,87 v. H. des Vermögens oder 26,4 v. H. der gesamten Staatsausgaben[1] ausmacht, so ist die Last der Landesverteidigungskosten nicht unerschwinglich und wird reichlich durch ihre Vorteile eingebracht. Noch 55 v. H. aller Verwaltungskosten werden für Kulturzwecke (darunter 530 Millionen. d. h. ⅓ des europäischen Gesamtaufwandes für die Schulen, davon allein 61 557 Volksschulen mit 187 485 Lehrern. 10,31 Millionen Schülern) und innere Verwaltung (allein 1 Milliarde oder täglich 2,5 Millionen für Arbeiterversicherung), 17,5 v. H. für die Finanz-, 5 v. H. für die Justizverwaltung und 2,5 v. H. für die auswärtigen Angelegenheiten verwandt, und die jährlichen Steuerlasten machen nur 48,17 M. (gegen 67 M. je in England und Frankreich) auf den Kopf, 80 M. auf den Erwerbsfähigen aus, mit den Zöllen nur 650 Millionen oder 13 v. H. des Werts.

Und wie sind andererseits Wohlstand und Lebenshaltung, ja sogar der Luxus gestiegen und zwar bei allen Ständen. Die jährlichen Ersparnisse betragen etwa 3 Milliarden oder 450 M. auf den Kopf in den Sparkassen, und für Alkohol und Tabak werden im Jahr etwa 5 Milliarden M. ausgegeben.

Dieser ungeheuere wirtschaftliche Aufschwung, der sich auch in einer jährlichen Ein- und Ausfuhr von 21,73 Milliarden (1912, d. h. gegen 1887 einer Steigerung von 219,7 v. H.) ausspricht (Frankreich hat nur 11,82 Milliarden und England ist bei 27,42 v. H. bald erreicht), steht aber in ursächlichem Zusammenhänge mit den hohen Ausgaben für Heer und Flotte (1912/13: 1476 Millionen = 21,86 M. auf den Kopf[2]), sie sind daher durchaus produktiv.

Für die Grösse des Heeres sind vor allem die gegenwärtige und die künftig mögliche politische Lage sowie die Machtverhältnisse der uns umgebenden fremden Staaten, besonders der wahrscheinlichen Kriegsgegner, weniger die etwaiger Bundesgenossen, ausschlaggebend. Denn nur dann ist im Kriege eine siegreiche Offensive, die den Feind in seinem eigenen Lande niederwirft und ihm unseren politischen Willen aufzwingt, möglich, wenn wir ihm an Güte und an Zahl, die in der Strategie wie in der Taktik das allgemeinste Prinzip des Sieges sind, und von welchen die Zahl sich nur in gewissen Grenzen durch die Tüchtigkeit ausgleichen lässt, überlegen sind. Vor allem auch bezüglich der nicht im letzten Augenblick zu schaffenden, vollkommen ausgebildeten und am schnellsten kriegsbereiten Truppen 1. Linie. „Le nombre des troupes, qu’un Etat entretient, doit être à la proportion des troupes, qu’ont ses ennemis“ (Friedrich der Grosse). Demnächst erst kommen eigene Volkszahl, innere Rechtszustände und finanzielle Gründe in Betracht.

Frankreich unterhält trotz einer um 27 Millionen schwächeren Bevölkerungszahl, zumal nach der Einführung der dreijährigen Dienstzeit, ein zahlenmässig etwa gleich starkes Heer wie unser 67 Millionenvolk, ganz


  1. Sowohl des Reiches wie der Bundesstaaten, wobei alle Betriebsverwaltungskosten, sowie die aus dem Verhältnis zwischen Reich und Bundesstaaten entstehenden Rechnungsposten wie Überweisungen und gedeckte Matrikular-Umlagen ausser Betracht geblieben sind. In England sind es dagegen 43 v. H., in Frankreich, wo allerdings viele Ausgaben von den Gemeinden bestritten werden, 36,6 v. H.
  2. Frankreich kostete 1913 die Landesverteidigung 1178 Millionen oder 29,67 M., England 1520 Millionen oder 33,05 M. auf den Kopf, Russland 1752 Millionen oder 11,10 M. für den Einzelnen. Keiner dieser Staaten hat aber ein so hohes aktives werbendes Staatsvermögen an Eisenbahnen, Bergwerken, Domänen, Salinen und Forsten wie Deutschland, das dort die staatlichen Schulden um mehrere Milliarden übersteigt, nämlich 16,25 oder 2,13 M. auf den Kopf mehr als die Schuldenzinsen betragen. Und alte Kriegsschulden, wie in England und Frankreich (je weit über 10 Millionen), haben wir nicht.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/298&oldid=- (Version vom 10.12.2021)