Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/280

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Das ergab zusammen 69 Stimmen. Das Plenum sollte aber wesentlich nur bei Abänderung der Grundgesetze in Tätigkeit treten. Für gewöhnlich wurden 17 Stimmen abgegeben, wovon elf auf die vorhin an erster Stelle genannten grösseren Teilhaber von Österreich bis Luxemburg entfielen (Virilstimmen), während die kleineren Mitglieder zu 6 sog. Kurialstimmen zusammengefasst waren. Für diese kleinere Bundversammlung ward der Name „Bundestag“ üblich. Dieses ungefüge Staatswesen mit seiner allen wirklichen Machtverhältnissen hohnsprechenden Stimmenverteilung, seinem völligen Mangel an einer kräftigen Zentralgewalt und an freiheitlichen Bundeseinrichtungen war kaum etwas anderes als die Wiederbelebung des 1806 zusammengebrochenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, nur ohne Kaiser. Es erregte von Anfang an die lebhafte Unzufriedenheit aller Patrioten und wurde 1848–50 während der revolutionären Bewegung, die von Frankreich ausgehend Deutschland und Italien ergriff, durch die Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt (18. Mai 1848 bis 18. Juni 1849) zu reformieren versucht, im Sinne, der Umwandlung in einen freiheitlichen, von dem hohenzollernschen Erbkaiser geleiteten Bundesstaat. Allein dieser Versuch scheiterte an der Abneigung Friedrich Wilhelms IV. von Preussen gegen einen von der Revolution ihm angebotenen Kaiserthron, der auch stets ein zweifelhafter Besitz gewesen wäre, und des Königs eigenes Unternehmen, durch Vereinbarung mit seinen Mitfürsten Deutschland eine bessere Verfassung zu geben, misslang, weil Österreich unter der Leitung des Fürsten Felix Schwarzenberg sich Preussen entgegenwarf und die Königreiche Sachsen, Hannover, Bayern und Württemberg sich aus Sorge um ihre bedrohte Souveränität an seine Seite stellten. Der Bundestag, der sich am 12. Juli 1848 aufgelöst hatte, ward am 2. September 1850 von Österreich für hergestellt erklärt, und Preussen trat ihm, nachdem der Minister Otto von Manteuffel im Namen des Königs in den Olmützer Verhandlungen den bisherigen Standpunkt preisgegeben hatte, durch Entsendung des Gesandten von Rochow am 14. Mai 1851 ebenfalls wieder bei.

Was aber damals misslang, das ist anderthalb Jahrzehnte nachher durchgeführt worden. Zwar hatte zunächst nach dem Scheitern der revolutionären Bewegung bei der allgemeinen Erschlaffung der Gemüter die Reaktion die Oberhand, welche sich in der Aufhebung der von dem Frankfurter Parlament beschlossenen „deutschen Grundrechte“ durch den Bundestag (am 23. August 1851), in der Umwandlung der preussischen I. Kammer in ein Herrenhaus, im Abschluss von Konkordaten mit dem römischen Stuhl, durch welche z. B. in Österreich 1855 die Schule der Kirche überantwortet ward, überhaupt in allgemeiner Zurückdrängung der freiheitlichen Ideen zu gunsten der Polizeigewalt kundgab, und die Regierungen fanden bei dieser Politik die Zustimmung ihrer Volksvertretungen, deren Mehrheiten ebenfalls reaktionär waren (sog. preussische Landratskammer, gewählt im Juni 1849).

Die Kraft der reaktionären Strömung hielt aber nur einige Jahre an und erzeugte bald einen liberalen Gegendruck, der in Preussen am 6. November 1858, nachdem der Prinz Wilhelm für seinen an einem unheilbaren Gehirnleiden erkrankten Bruder die Regentschaft übernommen hatte, zur Ernennung des sog. Ministeriums der liberalen Ära führte, Der italienische Krieg von 1859, in dem Kaiser Napoleon III. von Frankreich dem König Viktor Emanuel II. von Sardinien gegen Österreich Hilfe leistete und ihm den Besitz der Lombardei verschaffte, war insofern ein Sieg der nationalen und liberalen Ideen, als dadurch die Einigung des bisher unter sieben Herrschern zerspaltenen Italiens unter dem Hause Savoyen (1861) herbeigeführt und in ihm die verfassungsmässige Regierungsform statt der absolutistischen verwirklicht wurde. Das wirkte auf Deutschland zurück; die Bestrebungen, auch hier Einheit und Freiheit zu erlangen, lebten neu auf, und es entstand 1859 unter der Führung des Hannoveraners Rudolf v. Bennigsen der deutsche Nationalverein, der Preussen, aber einem liberal regierten Preussen, die Führerschaft in Deutschland zuerkannte. Da eine Zeitlang die Meinung herrschte, als ob die Franzosen das für Österreich Partei nehmende Deutschland angreifen würden, so setzte der Prinzregent einen Teil des preussischen Heeres auf Kriegsfuss, und hierbei ergab sich, dass, weil die Rekrutenziffer seit 1814 nicht erhöht worden war, ins preussische Heer eine grosse Menge verheirateter Landwehrmänner eingereiht werden musste, während Tausende wehrfähiger junger Leute, weil sie nicht ausgehoben worden waren, auch im Kriegsfalle zunächst frei ausgingen. Diese Erfahrung bestimmte den Regenten den Plan auszuführen, den er schon lange in der Seele trug; er liess durch den Kriegsminister Albrecht

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/280&oldid=- (Version vom 14.9.2022)