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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

II. Der wirtschaftliche Kampf um die Ostmark und die Ansiedlungspolitik.

1. Der Tiefstand der polnischen Wirtschaft.
2. Wirtschaftliche und soziale Arbeit im polnischen Volke.
3. Die Begründung der Ansiedlungskommission.
4. Der Kampf um den Boden.
5. Das Ausnahmegesetz gegen polnische Siedlungen (Ansiedlungsnovelle).
6. Das Enteignungsgesetz.

I. Der Kampf um die Verwaltung der Ostmarken und die „Versöhnungspolitik“.

1. Die staatsrechtliche Stellung der Polen nach der Wiener Schlussakte.

Seitdem die polnischen Landesteile im Jahre 1815 endgültig an Preussen gekommen sind, hat jeder König von Preussen den ernsten Versuch gemacht, den Wünschen der polnischen Staatsbürger entgegenzukommen und ein friedliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in unseren Ostmarken zu ermöglichen.

Die staatsrechtliche Stellung der Polen war in Alinea 2 des Artikels 1 der Wiener Schlussakte folgendermassen formuliert:

„Les Polonais, sujets respectifs de la Russie, de l’Autriche et de la Prusse obtienderont une représentation et des institutions nationales, réglées d’après le mode d’existence politique, que chacun des gouvernements auxquelles ils appartiennent, jugera utile et convenable de leur accorder.“

Dementsprechend wandte sich Friedrich Wilhelm III. am 15. Mai 1815 an die Polen in Preussen mit einem Aufrufe, in dem es heisst:

„Auch Ihr habt ein Vaterland, und mit ihm einen Beweis Meiner Achtung für Eure Anhänglichkeit an dasselbe erhalten. Ihr werdet Meiner Monarchie einverleibt, ohne Euere Nationalität verleugnen zu dürfen. Ihr werdet an der Konstitution Teil nehmen, welche Ich meinen getreuen Untertanen zu gewähren beabsichtige; und Ihr werdet, wie die übrigen Provinzen Meines Reiches eine provinzielle Verfassung erhalten.
Euere Religion soll aufrecht erhalten und zu einer standesmässigen Dotierung ihrer Diener gewirkt werden. Eure persönlichen Rechte und Euer Eigentum kehren wieder unter den Schutz der Gesetze zurück, zu deren Beratung Ihr künftig zugezogen werden sollt.
Eure Sprache soll neben der deutschen in allen öffentlichen Verhandlungen gebraucht werden, und Jedem unter Euch soll nach Massgabe seiner Fähigkeiten der Zutritt zu den öffentlichen Ämtern des Grossherzogtums, sowie zu allen Ämtern, Ehren und Würden Meines Reichs offen stehen.
Mein unter Euch geborner Statthalter wird bei Euch residieren. Er wird Mich mit Euren Wünschen und Bedürfnissen, und Euch mit den Absichten Meiner Regierung bekannt machen.
Euer Mitbürger, Mein Oberpräsident, wird das Grossherzogtum nach den von mir erhaltenen Anweisungen organisieren, und bis zur vollendeten Organisation in allen Zweigen verwalten. Er wird bei dieser Gelegenheit von den sich unter Euch gebildeten Geschäftsmännern den Gebrauch machen, zu dem sie ihre Kenntnisse und Euer Vertrauen eignen.“[1]


  1. Nach der Ansicht der Polen müssen die zitierten Dokumente dauernd für die staatsrechtliche Stellung der Polen in Preussen massgebend sein.
    Im Gegensatz hierzu hat die preussische Regierung sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Polen durch ihre Verschwörungen und Revolutionen von 1830, 1846, 1848 und 1861 jene staatsrechtliche Grundlage selbst vernichtet haben. Bismarck erklärte in seiner Landtagsrede am 29. Januar 1886: „Eine Verpflichtung, diese Grundsätze niemals zu ändern, wie auch immer seine polnischen Untertanen sich benehmen könnten, ist der König in keiner Weise eingegangen (Oho! bei den Polen) und die Versprechungen, die ehrlich vom Könige gegeben, von seinen Dienern vielleicht nicht ganz in derselben Stimmung gemeint worden, sind seitdem durch das Verhalten der Bewohner dieser Provinz vollständig hinfällig und null und nichtig geworden. (Lebhafter Widerspruch bei den Polen, sehr wahr rechts.) Ich gebe meinesteils keinen Pfifferling auf irgend eine Berufung auf die damalige Proklamation.“ (Grosse Unruhe bei den Polen und im Zentrum.)
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/230&oldid=- (Version vom 14.9.2022)