Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/198

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Teil der Prostituierten in Bordellen unterbringen liesse. Aus demselben Grunde ist auch die oft angeführte „Reinhaltung der Strassen“ kein Grund für Zulassung der Bordelle. Beide Erwägungen haben nur für kleine. Verhältnisse einige Berechtigung und in diesen lässt sich bei einiger Aufmerksamkeit der Polizei auch die freie Prostitution in jeder Beziehung leicht überwachen. Diesen geringen Vorzügen stehen aber sehr erhebliche Übelstände gegenüber. Die Bordelle bieten eine stets bereite Gelegenheit für Ausschweifungen aller Art. Das Verbot, geistige Getränke auszuschänken, ändert daran gar nichts, denn es wird umgangen werden müssen, wenn die Bordelle überhaupt wirtschaftlich existenzfähig sein sollen. Jedenfalls aber ist ihr Vorhandensein für eine erhebliche Anzahl von Personen eine starke Versuchung, der besonders Angetrunkene leicht unterliegen. Weiter aber bedeutet der Bordellbetrieb eine Versklavung der Dirnen, die schon aus allgemein menschlichen Gründen nicht geduldet werden darf. Es ist zudem im Grunde ein Widersinn, den Mädchenhandel zu bekämpfen und die Bordelle, den eigentlichen Nährboden dieses Verbrechens, bestehen lassen zu wollen. Dass schliesslich der dienstliche Verkehr der Polizeibeamten mit den Bordellinhabern zu Bestechungen aller Art führt, ist auch ein gewichtiger Grund gegen die Duldung solcher Betriebe. Es muss deshalb geradezu als eine der wichtigsten Aufgaben der Sittlichkeitspolizei angesehen werden, die Bordelle in allen Erscheinungsformen nachsichtslos zu bekämpfen.

Der „Mädchenhandel“ d. h. die Verschleppung von Frauenspersonen unter Anwendung von hinterlistigen Kunstgriffen, um sie der Unzucht zuzuführen, ist nach dem geltenden Strafrechte als Entführung strafbar und ausserdem in § 48 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897 als besonderes Delikt behandelt, wenn die Verschleppung ins Ausland geschieht. Dass die Verhinderung eines solchen gemeingefährlichen Treibens ebenfalls zu den Aufgaben der Sittlichkeitspolizei gehört, versteht sich von selbst. Erleichtert wird sie durch das Internationale Abkommen über Verwaltungsmassregeln zur Gewährung wirksamen Schutzes gegen den Mädchenhandel vom 18. Mai 1904 zwischen dem Deutschen Reiche, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Grossbritannien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Russland, Schweden, Norwegen, und der Schweiz, zu dem aber der Beitritt aller übrigen Staaten offen gehalten ist. Die vertragschliessenden Staaten haben sich darin verpflichtet, je eine Behörde zu bestellen (für Deutschland das Berliner Polizeipräsidium. Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 15. Juli 1905 R. Z. Bl. S. 185), der es obliegt, alle Nachrichten über Anwerbung von Frauen im Auslande zu sammeln. Ausserdem soll ein Überwachungsdienst eingerichtet werden, um die Mädchenhändler ausfindig zu machen. Die Ankunft verdächtiger Personen soll den beteiligten diplomatischen und polizeilichen Behörden gemeldet werden. Auch sollen Opfer des Mädchenhandels und ihre Verschlepper ermittelt, die Opfer befreit und nach dem Heimatlande zurückbefördert werden. Ergänzt werden diese Abmachungen durch ein neues Übereinkommen vom 4. Mai 1910, zu dem jetzt ein deutsches Ausführungsgesetz ergangen ist, das die Auslieferung wegen der dort bezeichneten strafbaren Handlungen vorsieht. Die wichtigsten Bestimmungen dieses Abkommens sind folgende:

Art. 1. Wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine minderjährige Frau oder ein minderjähriges Mädchen, selbst mit deren Einwilligung, zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, soll bestraft werden, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.

Art. 2. Ferner soll bestraft werden, wer, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, eine volljährige Frau oder ein volljähriges Mädchen durch Täuschung oder mittels Gewalt, Drohung, Missbrauch des Ansehens oder auch irgend ein anderes Zwangsmittel zu unsittlichem Zwecke anwirbt, verschleppt oder entführt, auch wenn die einzelnen Tatsachen, welche die Merkmale der strafbaren Handlung bilden, auf verschiedene Länder entfallen.

Art. 3. Die vertragschliessenden Teile, deren Gesetzgebung nicht bereits ausreichen sollte, um die in den beiden vorhergehenden Artikeln vorgesehenen strafbaren Handlungen zu bekämpfen, verpflichten sich, diejenigen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen, die erforderlich sind, damit diese strafbaren Handlungen ihrer Schwere entsprechend bestraft worden.

Art. 5. Die in den Artikeln 1, 2 vorgesehenen strafbaren Handlungen sollen vom Tage des Inkrafttretens dieses Übereinkommens an ohne weiteres als in die Aufzählung derjenigen strafbaren Handlungen aufgenommen gelten, deretwegen die Auslieferung nach den unter den vertragschliessenden Teilen bereits bestehenden Vereinbarungen stattfindet.

Soweit die vorstehende Abrede nicht ohne Änderung der bestehenden Gesetzgebung wirksam werden kann, verpflichten sich die vertragschliessenden Teile, die erforderlichen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/198&oldid=- (Version vom 3.12.2021)