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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Aber auch die führenden Mächte, die einst den Völkern zum monumentalen Ausdruck ihres künstlerischen Dranges verhalfen, die Kirche, die Fürsten, die Stadtgemeinden, bauten Tempel, Schlösser und Rathäuser nicht, um die Kunst zu fördern, sondern um ihres Glaubens, ihrer Macht, ihres Ruhmes wegen; die Kunst war die selbstverständliche Beigabe. Zwar hatte Colbert den volkswirtschaftlichen Wert des Geschmacks entdeckt und durch planmässige Fürsorge für die Handwerkskunst seinem Lande auf Generationen hinaus den Vorrang in Europa gesichert. Aber noch waren die grossen Besteller, der Hof und der Adel, kunstsicher genug, um aus eigenem Antriebe die Ideale ihrer Zeit zu gestalten. Der naive, man könnte sagen paradiesische Zustand der Kunstpflege hat bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts gewährt.

Die Revolution und ihre Folgen haben dieses glückliche Selbstgenügen gestört. In der bürgerlichen Gesellschaft, die das Erbe der alten aristokratischen Mächte anzutreten hatte, mochten Dichtkunst und Musik, die Künste des Einzelnen, gedeihen und auch die Bildermalerei im Hause einen bescheidenen Platz behaupten. Aber um dem Können und Wollen der neuen Zeit monumentalen Ausdruck zu geben, fehlte es den ärmlichen neuen Schichten nicht nur an Geld, sondern auch an künstlerischer Gesinnung. Die Kunstgeschichte entstand und liess den ungeheuren Abstand gegen die Vorzeit empfinden. Man ward irre an sich selber und sann auf Mittel zur Besserung. So wurde die bewusste Pflege der bildenden Künste zu einer Forderung der öffentlichen Bildung und der nationalen Kultur.

Die Kunstpflege richtet sich vornehmlich auf folgende Ziele:

1. die Ausbildung der Künstler;
2. die Kunst an den öffentlichen Bauten und in der monumentalen Bildnerei und Malerei;
3. die Fürsorge für den Kunstbesitz aus älterer Zeit an Baudenkmälern und in Museen;
4. die künstlerische Bildung des Volkes in allen seinen Schichten, besonders der Jugend.

1. Die Ausbildung der Künstler ist zur Aufgabe der öffentlichen Mächte geworden, als nach dem Mittelalter die alten handwerklichen Organisationen, die Zünfte und die St. Lukas-Gilden, den Künstlern zu eng wurden; als einzelne Persönlichkeiten sich namentlich an den Fürstenhöfen Geltung und Privilegien zu verschaffen wussten und endlich der ganze Stand höhere gesellschaftliche Ansprüche erhob und nach Art der Gelehrten und ihrer Akademien geordnet und geehrt zu werden verlangte. Damit endete auch die alte Werkstattslehre und die Ausbildung im Atelier des Meisters. Schon im 16. Jahrhundert gab es in Italien Genossenschaften, die sich Akademien nannten und für Unterricht sorgten. Als dann Mazarin 1648 die Académie royale de peinture et de sculpture ins Leben rief, wurden der neuen Körperschaft auch akademische Mal- und Bildhauerkurse angegliedert. 1666 entstand die französische Kunstschule in Rom, 1671 die Ecole d’architecture. Während der Revolution ward 1793 die Akademie in ihrer alten Form aufgehoben, aber schon 1795 wieder belebt. Napoleon hat sie 1806 dem Institut de France neben dessen wissenschaftlichen Abteilungen angegliedert. Die Lehranstalt ist seit 1863 als Ecole des beaux-arts von der Akademie unabhängig.[1]

Dem Beispiele Ludwigs XIV. folgten die übrigen Fürsten. 1692 entstand die Kunstakademie in Wien, 1696 die Kgl. Akademie der Künste in Berlin, die als Körperschaft bis heute besteht;[2] im 18. Jahrhundert eine ganze Reihe weiterer Akademien an den wichtigsten Kunstzentren Europas, teils als Körperschaften, teils als Lehranstalten. Staatliche akademische Lehranstalten bestehen in Deutschland in Berlin (Hochschule für die bildenden Künste), Düsseldorf, Kassel, Königsberg, München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Weimar; ausserdem mehrere öffentliche Kunstschulen mit besonderen Zwecken und eine grosse Zahl privater Schulen für Künstler und Künstlerinnen.[3]

In den heutigen Kunstakademien pflegen den Unterrichtskursen Meisterateliers für die reiferen Schüler angegliedert zu sein. Man wünscht überdies, den Künstlern und ihrer Kunst wieder festere handwerkliche Grundlagen zu schaffen und hat hie und da ergänzende Werkstätten begründet. Um dem verhängnisvollen Künstlerproletariat zu steuern, hat man vorgeschlagen,


  1. Dupré et Ollendorf, Traîte de l’administration des beaux-arts. Paris 1885. – Larroumet, L’art et l’état en France. Paris 1895.
  2. Hans Müller, Die Kgl. Akademie der Künste in Berlin 1696–1896. Berlin 1896.
  3. W. O. Dressler, Kunstjahrbuch, 7. Jahrgang. Rostock 1913 (wird fortgesetzt).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/181&oldid=- (Version vom 28.11.2021)